Einfach, billig - aber gefährlich: Ein Allzweckschneider für Gene
Manchmal gehen Karrieren plötzlich durch die Decke - auch in der Forschung
(dpa) Sie gelten als heiße Nobelpreis-Kandidatinnen. Das «Time Magazine» zählte sie 2015 zu den hundert einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt, für das Fachjournal «Science» war ihre Erfindung der wissenschaftliche Durchbruch des vergangenen Jahres. Nun bekommen Emmanuelle Charpentier (47) und Jennifer A. Doudna (51) den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis - für sie eine Auszeichnung unter vielen.
Urkunde und das Preisgeld in Höhe von insgesamt 100.000 Euro werden am 14. März in der Frankfurter Paulskirche überreicht. Ausgezeichnet werden die beiden Frauen für die Entwicklung einer programmierbaren Schere zum Zerteilen von Genen.
Die zierliche Französin ist ein Shootingstar der Wissenschaft. Nach Stationen in den USA, Österreich, Schweden und Braunschweig arbeitet die Mikrobiologin seit Oktober 2015 am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Die US-Amerikanerin Doudna ist Biochemikerin und Professorin an der University of California in Berkeley.
An die Wahl-Berlinerin kommt man nur noch schwer heran. Charpentier lässt sich inzwischen von einer PR-Agentur vertreten, damit ihr die Interviewanfragen aus aller Welt nicht über den Kopf wachsen. In Braunschweig ging das noch: Charpentier kam zum Interview in Jeans, Blazer und Halstuch. Der Fotograf wollte sie lieber mit Kittel und Bakterienkultur ablichten, aber die Französin weigerte sich. Schließlich sei das Labor nicht ihr typischer Arbeitsplatz. Die Tage, an denen sie selbst Experimente macht, hat sie hinter sich gelassen.
Charmant und witzig ist sie, doch bei ethischen Fragen wird sie schnell sehr ernst. Entschieden lehnte sie im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur die Anwendung der Genschere bei menschlichen Spermien, Eizellen oder Embryonen ab. «Ich finde das nicht gut. Für mich ist die Frage: Warum? Welchen Zweck hat es, menschliche Keimbahnzellen zu manipulieren?»
In der Tat ist das Werkzeug ethisch nicht unproblematisch. Die Allround-Schere ermöglicht es, das Erbgut sämtlicher Organismen - Bakterien, Tiere, Pflanzen und Menschen - zu verändern. Während zuvor jeweils spezialisierte Werkzeuge kreiert werden mussten, funktioniert das neue Verfahren mit der immergleichen Schere. Forscher können damit Gene ausschalten, defekte durch korrekte DNA-Teile ersetzen oder neue Gensequenzen einfügen.
Wissenschaftlich heißt die Methode CRISPR/Cas9. Das rund drei Jahre alte Verfahren sei «sehr billig und einfach», sagte Charpentier.
Der Stiftungsrat des Paul Ehrlich-Preises spricht jetzt von einem «Quantensprung»: Damit lasse sich «präziser als je zuvor erfassen, wie sich einzelne genetische Veränderungen auf die Entstehung von Krankheiten oder die Entwicklung von Organismen auswirken». Auch die Stiftung weist auf ethische Fragen hin: Bei einem möglichen Eingriff in die menschliche Keimbahn würden die genetischen Veränderungen an die nächste Generation weitergegeben. In China haben Forscher nach eigenen Angaben mit CRISPR/Cas9 schon Embryonen verändert.
«Die Konsequenzen sind im Grunde nicht absehbar», warnte Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, schon 2015. «Wir wollen doch nicht mit Embryonen experimentieren. Das wäre furchtbar.» Er hat für diese Forderung eine prominente Fürsprecherin: Emmanuelle Charpentier.
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