Das große Schlucken: Pharmakonzerne befeuern Übernahmeboom
(dpa-AFX) Rund um den Globus tost im laufenden Jahr die Übernahmewelle. Nach einem nur in Boomzeiten erreichten Volumen im Vorjahr dürfte 2015 wieder ein Topwert erzielt werden. Besonders schnell dreht sich das Übernahme-Karussell in der Pharmaindustrie. In den ersten neun Monaten lag das Volumen allein in dieser Branche bei knapp 350 Milliarden Dollar. Doch ein Selbstläufer sind Übernahmen nicht mehr. Manch Mega-Deal scheiterte zuletzt. Rasch geraten dann aber neue Ziele ins Visier.
Das zeigt sich beispielhaft beim Generikakonzern Teva. Im knapp 50-Milliarden-Dollar schweren Übernahmepoker um den Konkurrenten Mylan strichen die Israelis die Segel. Stattdessen will die Ratiopharm-Mutter nun das Generika-Geschäft des irischen Branchenkollegen Allergan für 40,5 Milliarden Dollar kaufen. Und Mylan selbst will nun den Konkurrenten Perrigo schlucken.
Traditionell wächst bei Managern der Appetit auf Zukäufe, wenn die Konjunktur anzieht oder Krisen abflauen. Angeschoben wird das Übernahmekarussell zudem durch das billige Geld der Zentralbanken und die damit stark gedrückten Zinsen für Firmenanleihen. Selten waren Konditionen für Kredite so günstig wie heute. Auch eigene Aktien sind angesichts gestiegener Börsenbewertungen eine beliebte Währung. Sie spielen eine wachsende Rolle. Hinzu kommen mögliche Steuervorteile etwa durch die Verlagerung des Firmensitzes. Das Umfeld für Übernahmen und Fusionen ist damit derzeit besonders günstig. "Man kann einfach nicht still daneben sitzen", sagt Analyst Ronny Gal von Sanford Bernstein.
Das zeigt sich in den Zahlen: Insgesamt schwoll das weltweite Volumen der geplanten Übernahmen im dritten Quartal - inklusive gescheiterter Angebote - auf gut 1,2 Billionen US-Dollar (1,08 Billionen Euro) an. Das ist nach 1,39 Billionen Dollar im Vorquartal der zweithöchste Wert für ein Vierteljahr seit acht Jahren, also kurz vor Ausbruch der damals schon schwelenden Finanzkrise. Im bisherigen Jahresverlauf liegt das Volumen bei 3,5 Billionen Dollar. 2014 waren im Gesamtjahr 3,8 Billionen Dollar erreicht worden und damit nur etwa 330 Milliarden Dollar weniger als 2007.
Der Übernahmehunger in der Pharmabranche wird zusätzlich durch Sparmaßnahmen der Regierungen im Gesundheitssystem befeuert. Besonders lukrativ erschienen in den USA zuletzt Unternehmen aus der Biotechnologie, die als Schlüssel für neue Medikamente gilt. Hier sind die Preise aber besonders hoch. Auch der anhaltende Trend zur Spezialisierung nährt die Übernahme-Welle. Während sich früher etwa große Pharmakonzerne durch ein breites Produktportfolio auszeichneten, gilt heute eine kritische Größe in besonders lukrativen Teilbereichen wie etwa Krebstherapie als Königsweg. Zahlreiche Konzerne spalten sich auf oder tauschen Geschäftsbereiche untereinander aus. Das schafft neue Player und lockt Interessenten. Das gilt auch für die Chemiebranche insgesamt.
"Wir waren in den letzten Jahren relativ vorsichtig bei Zukäufen", sagte BASF-Chef Kurt Bock bei der Vorstellung der Strategie jüngst. Übernahmen seien für den weltgrößten Chemiekonzern ein wichtiger Eckpfeiler. Die Hürden seien jedoch relativ hoch. Das gelte auch für die Vorstellungen bei den Preisen. Niedrig hängende Früchte seien weg.
Insgesamt wurde der Ton zuletzt rauer. Zunehmend wurden Übernahmen auch gegen den Willen des Managements eingeleitet. Dann ist das Risiko eines Scheiterns aber besonders hoch. Dies zeigt sich etwa beim schweizerischen Agrarchemiekonzern Syngenta, der sich lange gegen eine Übernahme durch Monsanto wehrte. Ende August warf der US-Konkurrent das Handtuch.
Im Übernahmepoker um den Dünger- und Salzkonzern K+S ist der Ausgang unterdessen offen. Erstmals seit der Mega-Übernahme des Mannesmann-Konzerns durch den britischen Mobilfunker Vodafone um die Jahrtausendwende geriet mit K+S ein Dax-Konzern ins Visier. Der kanadische Düngemittelhersteller Potash blitzte mit seinem Vorstoß bisher zwar ab. K+S hält den von den Kanadiern gebotenen Preis für zu niedrig. Bei einem Streubesitz von 100 Prozent gelten die Kasseler aber als angreifbar. Potash dürfte sich "nicht so schnell abschrecken" lassen, mahnt NordLB-Analyst Thorsten Strauß.