Nachteilige Gesundheitseffekte von Pestiziden: EFSA fordert neue Gutachten
Fresenius-Konferenz stellt Neuigkeiten in Bezug auf Agrochemikalien, Biozide und REACh-Chemikalien vor
Als Vertreter der EFSA trat auf der Konferenz Andrea Terron auf. In seinem Vortrag gab er nähere Informationen zu den beauftragten Gutachten. Demnach wird das erste der beiden Dokumente mithilfe des AOP-Konzepts (Adverse Outcome Pathway) den Zusammenhang zwischen potentieller Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln und dem Auftreten von Parkinson und Leukämie im Kinderalter auf biologische Plausibilität hin untersuchen. Die Arbeitsgruppe solle das AOP-System benutzen, um einen Prototyp zur Bewertung von Risikofaktoren für beide Krankheiten zu entwickeln und evaluieren, ob und wenn ja wie und in welchem Ausmaß experimentelle Toxizitätsstudien zu den Mechanismen von Toxizität die Effekte und Wirkmechanismen erfassen, die für beide Krankheitsbilder relevant sind, so Terron. Ebenso wird sich die entsprechende Arbeitsgruppe mit etwaigen Datenlücken und potentiellen Schwachstellen in den derzeitigen Regulierungsdossiers zur Untersuchung dieser spezifischen Gefahren auseinandersetzen. Mit der Fertigstellung des Gutachtens wird für kommendes Jahr gerechnet. Der Veröffentlichung wird sich eine öffentliche Konsultation auf der Website der EFSA anschließen. Das zweite Gutachten (fällig bis 2017) soll Antworten auf die Frage liefern, wie genau die vorliegenden epidemiologischen Informationen zur Verbindung von Pestizidexposition und gesundheitlichen Auswirkungen in der regulatorischen Pestizidbewertung verwendet werden können. Dabei werde es auch darum gehen, Lücken und Grenzen des Berichts von 2012 zu überprüfen, mögliche Verfeinerungen für künftige epidemiologische Studien zur Verbesserung ihrer Qualität, Relevanz und Verlässlichkeit vorzuschlagen und Empfehlungen zu erarbeiten, um die Anwendung epidemiologischer Studien in der regulatorischen Risikobewertung von Pestiziden zu verbessern und zu optimieren, erläuterte der Experte die Pläne der EFSA. Auch zum zweiten Gutachten werde es eine öffentliche Konsultation geben, ergänzte er.
Risikobewertung bei SoCs in Biozidprodukten
Risikobewertungen für Substanzgemische beschäftigen sich mittlerweile nicht mehr nur mit den darin enthaltenen Aktivsubstanzen, sondern ebenso mit anderen nicht-aktiven Komponenten, die aufgrund ihrer intrinsischen toxikologischen Eigenschaften so genannte „Substances of Concern (SoC)“ bzw. „Substances of Very High Concern (SVHC)“ darstellen können. Beide Substanzkategorien, die vielfach als (Ko-)Formulantien in Pflanzenschutzmitteln und Bioziden eingesetzt werden, sind über den neuen SoC-Leitfaden abgedeckt, der auf dem November-Competent Authority Meeting letzten Jahres angenommen wurde. Den vorgesehenen Prozess der Expositions- bzw. Risikobewertung bei SoCs/SVHCs in Biozidprodukten stellte auf der Konferenz Michael Werner (SCC) vor. Einführend wies er darauf hin, dass der Leitfaden nur die Prozedur für gesundheitsorientierte Risikobewertungen beschreibt. Bewertungen im Hinblick auf Umwelteffekte sollen in einem eigenen Leitfaden dargestellt werden, der momentan allerdings noch in Arbeit ist. Der SoC-Leitfaden teile die besorgniserregenden Substanzen (inklusive SVHC) in vier verschiedene Gefahrengruppen ein (A-D), anhand derer festgelegt sei, welche Art der Risikobewertung (qualitativ oder quantitativ) angewendet werden müsse, erklärte der Experte. Für Substanzen der Gruppen A oder B ist eine qualitative Risikobewertung erforderlich, für C und D eine quantitative. Für Letztere werden die unter REACh abgeleiteten Referenzwerte im Bewertungsprozess benutzt. Falls für eine Substanz (noch) keine REACh-Daten vorhanden seien, müssten andere Quellen herangezogen werden, um Informationen über das Gefahrenprofil der Substanz zu erhalten und Referenzwerte für die Risikobewertung ableiten zu können, so Werner weiter. Sofern die zu bewertende SoC keine Biozid-Aktivsubstanz ist, bezieht sich aufgrund der im Leitfaden beschriebenen Vorgehensweise die quantitative Risikobewertung dabei nur auf die individuelle Substanz – eine kombinierte bzw. kumulative Risikobewertung ist für SoCs derzeit nicht erforderlich. Entsprechend müssen nur individuelle Gefahrenquotienten (HQs) kalkuliert werden, wobei ein Quotient von unter 1 (HQ < 1) als ungefährlich für die Gesundheit gilt. Eine kombinierte bzw. kumulative Risikobewertung für SoCs, die keine Wirkstoffe seien, könne für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, gab Werner zu bedenken. Sollte eine solche erforderlich werden, sei als Standardvorgehen die Konzentrations- bzw. Dosisaddition heranzuziehen. Abschließend führte Werner aus, dass bei einer notwendig werdenden Verfeinerung der kumulativen Risikoabschätzungen zielorganspezifische Referenzwerte abgeleitet werden müssten, wofür genauere Kenntnisse zu den toxikologischen Eigenschaften der betroffenen SoCs erforderlich sind.
Weiterhin viele Herausforderungen bei der Risikobewertung von Nanomaterialien
Die Entwicklung von Nanotechnologien schreitet derzeit mithilfe synthetischer Nanomaterialien (engineered nanomterials, ENM) rasant voran. Experten sagen eine neue industrielle Revolution voraus: Für das Jahr 2020 wird der globale Marktwert der Nanotechnologie auf drei Billionen US-Dollar geschätzt. Mit steigender wirtschaftlicher Bedeutung wachsen jedoch auch die Sicherheitsbedenken gegenüber den neuen Materialien. Bereits jetzt existiert eine Fülle unterschiedlicher Produkte auf dem Markt für Konsumenten, die ENM enthalten. Oft fehlt es an systematischen toxikologischen Tests, Regulierung und Produktinformationen. Verschiedene Stakeholder (unter anderem auch Repräsentanten der Industrie und der Behörden) fordern mittlerweile eine angemessene Risikobewertung für technisierte Nanomaterialien ein. Generell seien hierfür die gleichen Methoden wie für herkömmliche Chemikalien und Partikel oberhalb des Nanobereichs geeignet, erklärte Mats-Olof Mattsson (AIT Austrian Institute of Technology, Department Health and Environment) in Düsseldorf. Allerdings gäbe es bislang nur eine begrenzte Anzahl an veröffentlichten Risikobewertungen für ENM in der wissenschaftlichen Literatur. Verfügbare Studien würden sich typischerweise mit bestimmten Materialien in einem bestimmten Umfeld beschäftigen und nur einen Bruchteil des Lebenszyklus bzw. der Wertschöpfungskette eines ENM abbilden, erläuterte der Experte. Man habe eine Reihe von Herausforderungen identifizieren können, die für die Risikobewertung bei ENM spezifisch seien, etwa die Charakterisierung der physikalisch-chemischen Eigenschaften eines ENM während verschiedener Stadien seines Lebenszyklus. Andere Herausforderungen betreffen die tatsächliche Exposition von Mensch und Umwelt, das Gefahrenpotenzial für verschiedene Formen von ENM und ihre Effekte bei relevanten Expositionen, die Entwicklung einer passenden Dosis-Metrik und die Einführung quantitativer Bewertungsansätze. Es sei von hoher Bedeutung, die Angemessenheit der derzeitigen Ansätze für die verschiedenen Komponenten der Risikobewertung bei ENM kritisch zu hinterfragen, betonte Mattsson. Man stelle fest, dass die ursprüngliche Form eines Nanomaterials nicht zwangsläufig diejenige sei, der der Mensch bzw. die Umwelt ausgesetzt seien. Daher müsse die Risikobewertung die gesamte Wertkette eines Materials berücksichtigen und sich auf die Stufen konzentrieren, in denen eine Exposition tatsächlich realistisch sei.