Transformationen in der Chemie- und Pharmabranche: Herausforderungen mit vielen Facetten
„perspectives 2015“: Experten diskutieren über zielgerichtete Entwicklung von Chemie- und Pharmaunternehmen
Impulse für Transformationsprozesse
Die „perspectives“ ist inzwischen das Branchen-Event schlechthin für den Chemie- und Pharmastandort Deutschland, was die große Resonanz belegt: Da die 120 Plätze im Vortragssaal nicht ausreichten, wurden Vorträge und Diskussion in benachbarte Räume übertragen, so dass weitere Teilnehmer der Veranstaltung folgen konnten. Rund 200 Gäste waren dann bei der Abendveranstaltung im 30. Stock des Messeturms dabei. „Wir sind als Standortbetreiber selbst aus einem Transformationsprozess hervorgegangen und begleiten seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten die kontinuierliche Entwicklung eines großen Industriestandortes erfolgreich“, sagte Jürgen Vormann, Vorsitzender der Geschäftsführung von Infraserv Höchst, der die Teilnehmer gemeinsam mit seinem Geschäftsführungs-Kollegen Dr. Joachim Kreysing begrüßte. „Aus diesem Blickwinkel heraus möchten wir mit der perspectives-Veranstaltung Impulse geben, um Anpassungsnotwendigkeiten frühzeitig zu erkennen und daraus resultierende Transformationsprozesse zu erleichtern.“
Großes Potenzial für den Standort Deutschland
Besonders praxisnah waren die Cases aus den Unternehmen. So berichtete Dr. Emmanuel Siregar, Geschäftsführer Organisation und Personal von Sanofi Aventis Deutschland, wie sich das Pharmaunternehmen in den vergangenen Jahren zukunftsorientiert aufgestellt hat und welche Herausforderungen dieser Wandel sowie die dynamische Entwicklung des Unternehmens im Personalbereich mit sich bringen. So setze Sanofi heute bei Forschung und Entwicklung sehr stark auf Kooperationen mit Partnern. Entstanden sei inzwischen eine offene Innovationskultur, für die zunächst die organisatorischen Rahmenbedingungen geschaffen werden mussten. Aus dem Blickwinkel eines global agierenden Unternehmens stellte Dr. Siregar dem Standort Deutschland ein sehr gutes Zeugnis aus: „Geschätzt wird hier vor allem die Geschwindigkeit bei der Umsetzung von Innovationen. Ich sehe für den Standort Deutschland trotz aller Herausforderungen ein sehr großes Potenzial.“
Politik muss für Wettbewerbsfähigkeit sorgen
Standortentscheidungen sind das Tagesgeschäft von Dr. Ferdinand Lippert, Senior Vice President von BASF, der im Bereich „Value Evaluations“ unter anderem Investitionsmaßnahmen bewertet. Dabei gilt es, Transformationsprozesse und Entwicklungen für lange Zeiträume zu prognostizieren. Welche Auswirkungen hat der Shale gas-Boom in den USA, wohin steuern Märkte und Rohstoffkosten? „Attraktive Energie und Rohstoffkosten führen zu Verschiebungen bei den Investitionen“, sagte Dr. Lippert. Allerdings seien vor allem die Verbundstandorte mit den Synergieeffekten und den Möglichkeiten, Stoffströme zu kombinieren, auf Dauer auch global wettbewerbsfähig. „Die europäische und die deutsche Energie- und Klimapolitik muss für internationale Wettbewerbsfähigkeit sorgen", forderte Dr. Lippert.
„Die Chancen von Chemie 4.0“
Über die Transformationsprozesse aus Sicht eines mittelständischen Unternehmens berichtete Dr. Lukas von Hippel, Geschäftsführer Pharma Waldhof. Eingangs hatte DECHEMA-Geschäftsführer Prof. Kurt Wagemann die Perspektiven des Rohstoffwandels beleuchtet, vor dem die Chemiebranche steht, während Dr. Björn Matthes, Leiter Praxisforen der DECHEMA, unter dem Oberbegriff „Chemie 4.0“ einen Blick in die Zukunft wagte. Mit der fortschreitenden Digitalisierung sind aus seiner Sicht gerade für die Chemieindustrie enorme Chancen verbunden, die allerdings nur genutzt werden können, wenn rechtzeitig die erforderlichen Weichenstellungen erfolgen, beispielsweise im Bereich Personal und Ausbildung.
Interkulturelle Kompetenz und Diversität in Unternehmen
Dass die Bildung und Qualifikation neben der zunehmenden Globalisierung und der disziplinübergreifenden Innovation die Megatrends für die Chemie- und Pharmabranche darstellen, hatte auch eine von der Provadis-Hochschule mit-initiierte Studie gezeigt. Professor Hannes Utikal, Vizepräsident der Provadis Hochschule, stellte die wichtigsten Ergebnisse der Studie vor und zeigte auf, welche Management-Herausforderung sich daraus ergeben. „Für ein globales Marktumfeld benötigen Unternehmen Mitarbeiter, die interkulturelle Kompetenz mitbringen, für disziplinübergreifende Innovationen brauchen Sie Diversität im Unternehmen“, nannte Prof. Utikal beispielhaft einige Management-Herausforderungen.
Wolf Lotter: Die Qualität der Norm als Innovationshemmnis
Einen ebenso pointierten wie mitunter auch provokativen Blick auf den Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft steuerte Wolf Lotter, Leitartikler und Mit-Begründer des Wirtschaftsmagazin brand eins, zur „perspectives bei. Unter dem Motto „Qualität und Können – die harte Währung des 21. Jahrhunderts stellte er die These auf, dass Unternehmen viel stärker als bisher Talente und Individualität innerhalb der eigenen Organisation fördern müssen, um Innovationen hervorzubringen. „Die Kunst besteht darin, Unterschiede und Differenzen zu managen, Kreativität zu erkennen und zu fördern und die in vielen Unternehmen herrschende Qualität der Norm, das größte Innovationshemmnis überhaupt, durch eine Qualität des Individualismus zu ersetzen“, sagte Lotter. Vor allem aber müssten sich Unternehmen auch und gerade in Zeiten mit Veränderungsprozessen auseinandersetzen, in denen diese nicht aus der Not heraus erforderlich werden. „Nichts ist gefährlicher als die Erfolg von gestern“, so Lotter. Nur wer in guten Zeiten Optimierungspotenziale und Entwicklungsmöglichkeiten nutzt, ist für schlechte Zeiten gerüstet.
Die Motivations-Tricks der Fußball-Weltmeister
Wie durch die Bündelung individueller Top-Qualität ein Team der Extraklasse geformt werden kann, weiß Prof. Hans-Dieter Hermann. Der Sportpsychologe begleitet unter anderem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft seit nunmehr fast zehn Jahren und hat durch seine Arbeit auch einen Anteil am Titelgewinn bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr. Viele Beispiele aus dem Spitzensport sind auch auf Unternehmen und die Arbeitswelt übertragbar. Von Sepp Herberger über Jürgen Klinsmann bis hin zu Jogi Löw – jeder erfolgreiche Bundestrainer hatte seine persönlichen Tricks, um die Motivation seiner Top-Spieler zu steigern und dabei trotz allem den Teamerfolg über alles andere zu stellen.
Die „perspectives 2015“ war zu kurz – zu kurz, um auch nur die wichtigsten Themen ausführlich zu besprechen, und zu kurz, um alle interessanten Gesprächspartner zu kontaktieren. Die Frage „Und jetzt?“ steht in Bezug auf die Herausforderungen weiter im Raum. Doch alle Teilnehmer haben viele wertvolle Impulse und Kontakte mitgenommen, um sich weiter mit dem Thema Transformation zu beschäftigen.Im Frühjahr erscheint das nächste „perspectives“-Magazin, und die vierte Auflage der Veranstaltungsreihe ist auch schon terminiert: Am 14. Juni 2016 steht die nächste „perspectives“ an.