Hilferuf an Killerzellen fördert Krebsabwehr
Manchmal dauert es etwas länger, ein Rätsel zu lösen: Bereits 1893 entdeckte der deutsche Chirurg G. Reinbach, dass Tumorgewebe häufig von bestimmten Immunzellen besiedelt ist, den Eosinophilen. Seither rätseln Wissenschaftler, ob diese zur angeborenen Abwehr zählenden Zellen an der Krebsabwehr beteiligt sind, und wenn ja, wie.
„Es gibt viele Studien, die die Anwesenheit der Eosinophilen im Tumor mit einer besseren Prognose der Krebserkrankung in Verbindung bringen. Aber ob Eosinophile tatsächlich selbst gegen den Tumor aktiv werden, wusste man auch 120 Jahre nach Reinbachs Entdeckung noch nicht“, sagt Prof. Dr. Günter Hämmerling vom Deutschen Krebsforschungszentrum.
Der Immunologe Hämmerling vermutete, dass Eosinophile im Tumor möglichweise als Mittler wirken, die andere Immunzellen zur Hilfe rufen und so die Tumorabwehr in Gang bringen. Diese Vermutung konnte Dr. Rafael Carretero aus Hämmerlings Abteilung nun bestätigen. Er fand heraus, dass Eosinophile chemische Lockstoffen abgeben, die die Profi-Killer der körpereigenen Abwehr ins Krebsgewebe locken. Diese sogenannten CD8-T-Zellen sind es dann, die den Tumor tatsächlich attackieren.
Mäuse, deren Eosinophile mit Antikörpern außer Gefecht gesetzt waren, konnten Tumoren nur noch schlecht abwehren und erlagen dem Krebs schnell. Bei diesen Tieren wanderten nur auffällig wenige CD8-Zellen in den Tumor ein. Dass es tatsächlich die von den Eosinophilen ausgeschiedenen Lockstoffe sind, die die T-Zellen anziehen, zeigte Carretero, indem er diese Botenstoffe mit Antikörpern abfing. Unter diesen Bedingungen wanderten ebenfalls kaum T-Zellen in den Tumor ein. Ebenso wenig ließen sich T-Zellen in den Tumor locken, wenn die Forscher nicht-aktivierte Eosinophile, die keine Lockstoffe produzieren, auf die Mäuse übertrugen.
Ein Ansatz der modernen Krebsmedizin ist es, Krebs mit patienteneigenen Immunzellen zu behandeln, die zuvor in der Kulturschale gegen den Tumor scharfgemacht worden sind. Allerdings scheitern diese Behandlungen oft daran, dass nicht genügend T-Zellen in den Tumor gelangen. Carretero und Kollegen untersuchten daher, ob Eosinophile die Ergebnisse solcher Immuntherapien verbessern können.
Während der alleinige Transfer von T-Zellen bei krebskranken Mäusen nur geringen Einfluss auf die Tumorgröße hatte, erreichten die Forscher durch die gemeinsame Gabe von T-Zellen und aktivierten Eosinophilen, dass sich der Krebs stark zurückbildete. Die Mäuse lebten deutlich länger als Artgenossen der Kontrollgruppe, die nur T-Zellen erhalten hatten. In weiteren Versuchen zeigten die Forscher, dass Eosinophile allein - in Abwesenheit von T-Zellen - die Krebsabwehr nicht begünstigen.
Neben ihrem Hilferuf an die Killerzellen üben die Eosinophilen noch weiteren Einfluss auf die direkte Umgebung des Tumors aus: Sie normalisierten die Blutgefäße im Tumor, was zusätzlich dazu beiträgt, den Krebs abzustoßen.
„Wir haben hier ein über 100 Jahre altes Rätsel gelöst und gezeigt, dass die Eosinophilen über einen molekularen Hilferuf die Krebsabwehr in Gang setzten“, sagt Günter Hämmerling. „Dieses Wissen eröffnet uns die Möglichkeit, zelluläre Immuntherapien gegen Krebs deutlich zu verbessern, indem wir mehr T-Zellen in den Tumor lenken“, sagt Studienleiter Günter Hämmerling. Derzeit untersucht sein Team Krebspatienten, die mit Immuntherapien behandelt worden sind. Die Forscher wollen ermitteln, inwieweit eine erhöhte Anzahl von Eosinophilen mit dem Therapieerfolg korreliert.