Niere macht "gutes" Cholesterin zu "bösem"

Warum Nierenerkrankungen dem Gefäßsystem schaden

10.06.2015 - Österreich

Eine Veränderung des "guten" Cholesterins HDL und spezielle Gen-Aktivierungen sind bei chronischer Nierenerkrankung Ursachen für Schäden am Gefäßsystem. Diese grundlegenden Erkenntnisse sind das Ergebnis eines vor Kurzem beendeten Projekts des FWF, das damit auch neue Ansätze zur Prävention ermöglichen könnte. Konkret wurde in dem Projekt die Wirkung von Cyanat, einem Abbauprodukts des Harnstoffs, auf die Funktion des Gefäßsystems untersucht.

© Gunther Marsche

Chronische Nierenerkrankungen schaden dem Gefäßsystem durch Gen-Aktivierungen und andere Effekte, wie ein Projekt des FWF zeigen konnte.

Chronisch Nierenkranke sterben häufig an kardiovaskulären Komplikationen. Die Ursache dafür ist ein geschädigtes und schlecht funktionierendes Gefäßsystem. Inwieweit ein spezielles Zersetzungsprodukt (Cyanat) des bei Nierenkranken im Blut konzentrierten Harnstoffs verantwortlich ist, hat ein Team um Gunther Marsche von der Medizinischen Universität Graz in einem Projekt des FWF erforscht.

Ein Team – Zwei Entdeckungen

"Wir konnten im humanen Gewebe wie auch im Tiermodell zwei bisher unbekannte Mechanismen identifizieren, wie Cyanat bei chronischer Nierenerkrankung zu einer mangelnden Funktionalität des Gefäßsystems führen kann", erklärt Gunther Marsche. "Bei dem ersten Mechanismus bewirkt Cyanat eine nachteilige Veränderung eines Lipoproteins, das im unveränderten Zustand für die gesunde Funktion der Gefäße eine maßgebliche Rolle spielt. Im zweiten Fall wird durch Cyanat ein Gen aktiviert, was entzündliche Reaktionen des Gefäßsystems verstärken kann."

Vom guten zum bösen Cholesterin

Bei dem Lipoprotein, das durch Cyanat verändert wird, handelt es sich um das als "gutes" Cholesterin bekannte High Density Lipoprotein (HDL). Wie das Team um Marsche zeigen konnte, erfährt dieses durch Cyanat eine als Carbamylierung bezeichnete chemische Veränderung – mit drastischen Folgen, wie Marsche schildert: "Wirkte das HDL zuvor einer Gefäßverengung entgegen, so reduziert sich diese Schutzwirkung durch Carbamylierung dramatisch. Ja im Extremfall kann es dann sogar zu einer Gefäßverengung beitragen." Dies ist ein Effekt der speziell bei chronisch Nierenkranken auftreten kann. Denn diese scheiden Harnstoff wesentlich schlechter aus als gesunde Personen und dessen Zersetzungsprodukt, das Cyanat, kommt dann in deutlich erhöhten Konzentrationen im Blut vor.

Gen-Aktivierung

Der zweite Effekt, den Cyanat auf das Gefäßsystem hat und der von der Gruppe um Marsche identifiziert wurde, wirkt über die Aktivierung eines Gens. Dieses codiert für ein sogenanntes Adhäsionsmolekül das auf den Zellmembranen der Endothelzellen sitzt, also jener Zellschicht, die ein Gefäß auskleidet. Die Funktion des als ICAM-1 bezeichneten Proteins besteht darin, bestimmten Zellen des Blutes (Leukozyten) zur Bekämpfung von Infektionen oder Tumoren "den Weg zu weisen". Dazu haben Leukozyten Rezeptoren, die ICAM-1 binden. Marsche konnte nun zeigen, dass die Aktivierung des Gens für ICAM-1 durch Cyanat dazu führt, dass mehr Leukozyten gebunden werden und so entzündliche Reaktionen der Gefäßwände eventuell verstärkt werden könnten. Diese Wirkkette stellt erstmals eine kausale Verbindung zwischen der bei Nierenkranken oft zu beobachtenden Urämie, also einer stark erhöhten Harnstoffkonzentration im Blut, und entzündlichen Reaktionen her.

Von der Erkenntnis zur Therapie

Die Erkenntnisse aus diesem FWF-Projekt sind dringend notwendig, denn mit zunehmendem Altersdurchschnitt der Gesamtbevölkerung steigt auch die Anzahl chronischer Nierenkranker. Deren Mortalität ist insbesondere auch aufgrund von Folgeerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems stark erhöht. Wie es zu diesen Folgeerscheinungen kommt, ist bisher aber kaum verstanden. Für Marsche ist die grundlegende Bedeutung dieser Entdeckungen im Rahmen des Forschungsprojekts daher klar: "Die Daten aus diesem FWF-Projekt liefern einen Ansatz für die klinische Evaluierung von Wirkstoffen, die gegen Cyanat im Blut wirken. Das könnte zur Entwicklung von Medikamenten und Therapien führen, die Nierenkranken eine deutlich verbesserte Lebensqualität ermöglich würden."

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