Überraschende Ursache von erblicher Farbenblindheit entdeckt

03.06.2015 - Deutschland

Genetiker am Forschungsinstitut für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Tübingen haben ein neues Gen als Ursache einer vererbten Form von kompletter Farbenblindheit entdeckt. Dieses Krankheitsbild, auch Achromatopsie genannt, zeigt sich in einem angeborenen Verlust des Farbsehvermögens verbunden mit einer stark reduzierten Sehschärfe und hoher Blendungsempfindlichkeit.

Susanne Kohl, Bernd Wissinger und ihre Mitarbeiter vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde haben bereits in den vergangenen Jahren fünf Gene gefunden, die im Falle eines genetischen Defekts eine Achromatopsie verursachen können. Alle bislang bekannten Gene liefern die Information für essentielle Bestandteile der Lichtrezeption in den Zapfen-Photorezeptoren der Netzhaut. Diese sind für das Tages- und Farbensehen zuständig. Insofern lag der Zusammenhang zwischen Gendefekt und der Art der Erkrankung nahe.

Das jetzt neu gefundene ATF6-Gen für Achromatopsie fällt aus dem Rahmen: ATF6 wird in allen Zellen des Körpers gebraucht und funktioniert dort als Sensor für Zellstress, wenn beispielsweise zu viel fehlgefaltete Eiweißmoleküle produziert werden, was zu Zellenschäden führen kann. So dachte man jedenfalls bisher. Dass ein Gendefekt in ATF6 zu einer Achromatopsie führt, ist daher absolut unerwartet und überraschend. „Ich konnte es anfangs gar nicht glauben, als wir die erste Auswertung der umfassenden genetischen Analyse in Händen hatten und dachte, das kann nicht sein“, berichtet Susanne Kohl, „erst als wir weitere Patienten mit Gendefekt in ATF6 gefunden hatten, war klar: ATF6 ist eine neues Achromatopsie-Gen.“

Ein Schlüssel für diese neue Erkenntnis war die Zusammenarbeit mit anderen Forschern am Tübinger Augen-Forschungsinstitut (Prof. Mathias Seeliger, Prof. Eberhard Zrenner), und die intensive Kooperation mit einer Vielzahl klinischer Experten in Europa und Nordamerika, die Blutproben ihrer Patienten zur Verfügung gestellt haben, sowie Forscherkollegen in Kalifornien, die seit langem die Funktion von ATF6 studieren.

„Gendefekte in ATF6 betreffen nur eine kleine Anzahl von Patienten mit Achromatopsie, aber sie zeigen uns einen ganz neuen, unerwarteten Krankheitsmechanismus auf“, erläutert Susanne Kohl die Bedeutung dieses Ergebnisses.

Die Aufklärung der Ursachen ist das Eine, aber welchen Nutzen haben die Patienten davon? „Man sollte nicht unterschätzen, welchen Wert es für die Patienten und Familien hat, endlich zu wissen, welche Ursache ihrer Erkrankung zugrunde liegt. Außerdem macht dieses Wissen eine genaue genetische Beratung der Familien möglich“ erklärt Prof. Bernd Wissinger. „Zudem ist mit der Kenntnis des Gendefekts ein wichtiger Schritt für die Entwicklung einer Behandlung, z.B. mittels Gentherapie, geleistet worden.“ Wissinger weiß, wovon er spricht: Er koordiniert das Forschungsprojekt RD-CURE zur erstmaligen gentherapeutischen Behandlung von Patienten mit Achromatopsie. Dort sind es Patienten mit Gen-Defekten im CNGA3-Gen, dem allerersten von den Tübinger Forschern entdeckten Gen für Achromatopsie, welche noch in diesem Jahr im Rahmen einer sogenannten Phase I/II Sicherheitsstudie behandelt werden sollen.

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