Deutsche Biotech-Branche mit neuem Mut – es fehlt aber weiter an Risikokapital
Steuerliche Anreize für Anleger könnten Branche Schub geben – deutlich mehr Risikokapital in Großbritannien und Schweiz
Der Umsatzrückgang von insgesamt drei Prozent fiel zwar etwas schwächer aus als im Vorjahr (minus sieben Prozent); er betrifft – im Gegensatz zum Vorjahr – aber die börsennotierten Gesellschaften mit einem Minus von elf Prozent besonders stark. Gerade sie scheinen aber positiv in die Zukunft zu blicken: Sie steigerten ihre F&E-Ausgaben um 18 Prozent auf 133 Millionen Euro, während die privaten Unternehmen sie nur um zwei Prozent auf 670 Millionen Euro anhoben.
Die Zahl der Neugründungen nimmt seit 2010 beständig ab und hat im vergangenen Jahr einen neuen Tiefstand erreicht. Gerade einmal zehn neue Firmen kamen hinzu. 2010 wurden noch 34 neue Unternehmen gegründet. Bemerkenswert ist dabei, dass in den vergangenen beiden Jahren mit 60 Prozent die Mehrzahl der neu gegründeten Unternehmen ausgerechnet auf dem risikoreichsten Sektor, der Medikamentenentwicklung, tätig ist. Mit weitem Abstand folgen die Hersteller biotechnischer Werkzeuge wie Gensonden oder Sequenzierenzyme (13 Prozent). Die Hotspots für Neugründungen waren in den vergangenen beiden Jahren vor allem München (sieben), die Rhein-Neckar-Region (fünf) sowie Köln/Bonn und Berlin (jeweils vier).
Immerhin: Auch die Zahl der Insolvenzen ist im zweiten Jahr in Folge gesunken und betrug nach 17 Insolvenzen 2012 und 13 Insolvenzen 2013 noch elf Firmenpleiten.
Das sind Ergebnisse des 15. deutschen Biotechnologie-Reports der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young).
Der Studienautor und Leiter des deutschen Life Science Centers von EY, Siegfried Bialojan, sieht bei allen Problemen auch Grund zum Optimismus. „Zukunftsinvestitionen bei schwacher Geschäftsentwicklung – dieses Signal war nach der Finanzkrise bisher nicht beobachtet worden. Insbesondere die deutliche Zurückhaltung in den F&E-Investitionen über die letzten Jahre hatte Anlass zu großer Sorge gegeben. Jetzt zeigt sich Licht am Ende des Tunnels“, betont er.
„Steuerliche Anreize schaffen, um mehr privates Kapital zu mobilisieren“
„Für ein wirkliches Wachstum der Branche muss jedoch ein funktionierendes Kapitalökosystem wiederhergestellt werden“, sagt Bialojan. „Es müssen steuerliche Anreize für ein breites Spektrum von Anlegern geschaffen werden, um dadurch mehr privates Kapital für innovative Hightech-Unternehmen zu mobilisieren.“
Bialojan verweist auf den EY-Biotechreport aus dem vergangenen Jahr, „1 % für die Zukunft“, der die politische Diskussion angeregt und viel Zuspruch erfahren habe. Um auch in Deutschland ein besseres Investitionsklima zu erzeugen, sollen private und institutionelle Investoren bis zu einem Prozent ihres Vermögens in offene Hightech- und Highrisk-Eigenkapitalfonds anlegen können, so die aus der Studie abgeleitete Forderung. Dafür sollen sie von der Kapitalertragsteuer befreit werden. Durch die Begrenzung auf ein Prozent des Gesamtvermögens bliebe das Risiko für Anleger überschaubar.
„Es geht dabei nicht um ein Unterstützungsprogramm für eine Not leidende Biotech-Branche. Es geht um ein positives Signal an den Innovationsstandort Deutschland schlechthin“, so Bialojan. Ohne Risikokapital können echte Innovationen nicht entstehen. Biotech als besonders innovationstreibende Branche stehe dabei stellvertretend für die Innovationskraft am Standort Deutschland insgesamt. Innovationen und ihre Realisierung im Markt erforderten aber auch ein Umdenken in der Gesellschaft. „Mut zum Risiko und Unternehmergeist müssen positiv besetzt und die Einstellung zum Thema Eigenkapital und Aktienkultur muss neu überdacht werden. Dadurch könnten wir eine ganz neue Dynamik für Innovationen in Deutschland erzeugen.“
Das derzeitige allgemeine Marktumfeld stelle ein ermutigendes Momentum dar, die durch kluges politisches Handeln genutzt werden sollte: Die IPO-Dynamik an den europäischen und US-Kapitalmärkten ist ungebrochen stark. Nach wie vor liegen die USA beim Emissionsvolumen vorn: Bei 288 Börsengängen (plus 27 Prozent) im vergangenen Jahr wurden dort insgesamt 95 Milliarden US-Dollar erlöst – ein Zuwachs um 54 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Weltweit am stärksten legte allerdings der europäische IPO-Markt zu: Hier stieg die Zahl der Börsengänge um 63 Prozent von 159 auf 259. Das Emissionsvolumen an Europas Börsen hat sich sogar verdoppelt: von 31 auf 62 Milliarden US-Dollar. „Das zeigt, dass wieder Anlegerinteresse an neuen, innovativen Firmen vorhanden ist“, sagt Bialojan.
Börsengänge von Biotech-Unternehmen entwickelten sich positiv
Auch die Biotech-IPOs entwickelten sich sehr positiv: In den USA stiegen sie von 41 auf 63 – das Volumen steigerte sich von 3,3 auf 4,9 Milliarden US-Dollar. In Europa wagten 31 Biotech-Unternehmen den Sprung an die Börse, nach acht im Vorjahr. Dabei erlösten sie 1,9 Milliarden US-Dollar (2013: 0,3 Milliarden). In beiden Märkten gingen vor allem Therapeutika-Entwickler an die Börse. Größter Börsengang in Europa war der des britischen Unternehmens Circassia Pharmaceuticals mit einem Volumen von über 250 Millionen Euro. Die lange Durststrecke ohne IPOs deutscher Biotech-Unternehmen seit 2006 (WILEX als letzte Notierung) wurde gleichzeitig beendet. Mit Affimed aus Heidelberg und Probiodrug aus Halle haben zwei Therapeutika-Entwickler den Gang an die Börse gewagt. Sie erlösten dabei 42,2 Millionen beziehungsweise 23,2 Millionen Euro, allerdings mit einem Wermutstropfen: Beide entschieden sich gegen die Heimatbörse in Frankfurt und zogen die NASDAQ in den USA bzw. Euronext in Amsterdam vor. Damit bleibt der deutsche Kapitalmarkt für Biotech weiterhin verschlossen.
Vor allem dank dieser beiden Börsengänge konnten Biotech-Firmen in Deutschland ihre Kapitalaufnahme leicht um drei Prozent auf 336 Millionen Euro steigern. Die Börsengänge von Affimed und Probiodrug trugen mit 65 Millionen Euro fast ein Fünftel zu der Summe bei. 155 Millionen sicherten sich die Unternehmen über Risikokapital, 116 Millionen durch Kapitalerhöhungen an der Börse. Insgesamt gibt es damit einen leichten Aufwärtstrend, bereits in den Jahren 2012 und 2013 konnte die Kapitalaufnahme gesteigert werden. Allerdings liegt sie immer noch mehr als ein Viertel hinter den Finanzierungsvolumina vor der Finanzkrise zurück.
Leuchtturmcharakter hat zudem die Meldung vor wenigen Wochen, dass Bill Gates Millionen in den Tübinger Impfstoffhersteller CureVac investiert, an dem auch Dietmar Hopp beteiligt ist. „Wann, wenn nicht jetzt? Wir sollten dieses Momentum nutzen“, fordert Bialojan, der Zeitpunkt für neue Anreize sei gekommen. „Es wäre sträflich, sich in dieser Situation zurückzulehnen und darauf zu vertrauen, dass die allgemeine Wirtschaftserholung automatisch auch die Biotechnologie erreicht. Die Versorgung mit Risikokapital reicht nach wie vor nicht aus, im Gegenteil: Sie verschlechtert sich immer weiter. Eine steuerliche Investitionsförderung könnte diesen Trend umkehren.“
Deutschland fällt beim Risikokapital weit zurück
„An der chronischen Unterfinanzierung der deutschen Biotech-Industrie hat sich bislang leider wenig geändert“, stellt Bialojan fest. Im vergangenen Jahr seien die Risikokapitalinvestitionen von einem ohnehin niedrigen Niveau weiter abgesunken: um 5,4 Prozent auf 155 Millionen Euro. Ganz anders in Großbritannien und der Schweiz. Die beiden Länder haben Deutschland inzwischen weit hinter sich gelassen: In Großbritannien sammelten Biotechunternehmen im vergangenen Jahr 447 Millionen Euro ein – eine Steigerung von 155 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Ähnlich fulminant erhöhten Risikokapitalgeber ihre Investitionen in der Schweiz: Das Kapitalvolumen im Venture-Capital-Bereich stieg in den beiden letzten Jahren um jeweils 43 Prozent und verdoppelte sich damit auf 308 Millionen Euro.
Am Ende würden sich hierzulande entsprechende Anreize für Risikokapital volkswirtschaftlich auszahlen, ist Bialojan überzeugt.
Zukunft Bioökonomie
Ähnlich der digitalen Revolution sieht er auch in der Biotechnologie als Treiber der „Biologisierung von Industrien“ ein enormes Potenzial: „Die wirtschaftlichen Potenziale lassen am Ende zumindest einen ebenso großen volkswirtschaftlichen Gewinn erwarten, wie wir ihn heute im IT-Bereich bereits sehen. Der Biotechnologie stehen aber ungleich größere Hürden in der Etablierung und gesellschaftlichen Akzeptanz im Wege. Einerseits sind ihre Entwicklungen dem Endkunden in der Regel nicht so präsent beziehungsweise beeinflussen sein Leben nicht so offenkundig, wie dies bei vielen IT-Innovationen der Fall ist. Andererseits sind die Entwicklungszeiten länger – und damit auch die Kosten und Risiken auf dem Weg zum Markt deutlich größer. Gerade der Zugang zu Kapital ist somit ein entscheidender Knackpunkt, der die beiden Gebiete unterscheidet.“