Vier neue Kieselalgen-Arten in Berlin zufällig entdeckt

DNA-Barcoding

25.11.2014 - Deutschland

Berliner Forschungsgruppe beweist Wert genauerer wissenschaftlicher Dokumentation beim DNA-Barcoding. Vier neue Kieselalgen-Arten entdeckte die Forschungsgruppe Diatomeen im Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin-Dahlem der Freien Universität Berlin. Der Fund erfolgte zufällig bei der Erarbeitung eines neuen, standardisierten Ablaufs für die Erstellung einer Kieselalgen-Referenz-Datenbank. Dafür wurden stichprobenartig die Kieselalgen von elf verschiedenen Gewässerstandorten in Berlin untersucht. Die verblüffenden Ergebnisse wurden kürzlich in der Open-Access-Zeitschrift PLoS ONE veröffentlicht.

© Forschungsgruppe Diatomeen, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem

Fotos der vier neubeschriebenen Kieselalgen-Arten (von oben nach unten): 1 Amphora berolinensis N. Abarca & R.Jahn (Heiligensee): a-c rasterelektronenmikroskopische Aufnahme, d-i lichtmikroskopische Aufnahme, 2 Mayamaea terrestris N. Abarca & R.Jahn (Ackerboden): a-c rasterelektronenmikroskopische Aufnahme, d-g lichtmikroskopische Aufnahme, 3 Planothidium caputium J.Zimmermann & R.Jahn (Wuhle): a-d rasterelektronenmikroskopische Aufnahme, e-h lichtmikroskopische Aufnahme, 4 Stauroneis schmidae R.Jahn & N. Abarca (Ackerboden): a-e rasterelektronenmikroskopische Aufnahme, f-h lichtmikroskopische Aufnahme. Maßstab: 10 µm.

Der standardisierte Ablauf für die Erarbeitung einer Referenz-Datenbank wird große Auswirkungen auf die Arbeitsweise von Wissenschaftlern aller Organismengruppen beim DNA-Barcoding haben, der Analyse eines kurzen Abschnitts ihrer Erbinformation, ähnlich dem Produktbarcode im Supermarkt.

Zufällige Entdeckung beim Erarbeiten einer Kieselalgen-Referenz-Datenbank

Die sechs Berliner Wissenschaftler untersuchten im Labor ganz genau Wasserproben von elf Berliner Gewässern. Darunter waren Flüsse (wie die Spree und die Havel), Kanäle (wie der Landwehrkanal), Seen (wie der Tegeler See) oder Teiche (wie im Görlitzer Park oder Treptower Park). In den Proben zeigte sich eine natürliche Mischung vieler verschiedener Kieselalgen-Arten. Zur eindeutigen und feinen Analyse wurden die Kieselalgen in Kultur genommen, vermehrt und gereinigt, so dass reine Proben einer einzelnen Art isoliert werden und wissenschaftlich genau untersucht und dokumentiert werden konnten. Insgesamt wurden 37 Kieselalgen-Arten identifiziert, darunter vier neue. In einem neuen, standardisierten Prozess wurde eine Kieselalgen-Referenz-Datenbank dieser Arten erstellt, die für künftige Referenz-Datenbanken Vorbild sein wird. Die unter einen Millimeter großen Kieselalgenarten wurden morphologisch mit dem Lichtmikroskop untersucht und fotografisch dokumentiert. Ihre Feinstruktur wurde mit dem Rasterelektronenmikroskop analysiert. Auch ihre Erbinformation, die DNA, wurde molekulargenetisch untersucht. Der natürliche Fundort wird mit Georeferenzierung genau angegeben. Alle Daten werden in der Referenz-Datenbank AlgaTerra hinterlegt und sind wissenschaftlich nachvollziehbar. Mischproben und Kulturen wurden zudem in der DNA-Bank und als Belege im Herbar des Botanischen Museums Berlin für zukünftige Untersuchungen hinterlegt.

Vorbild für künftiges DNA-Barcoding

Dieses best-practice Beispiel zeigt überzeugend, dass für künftige Forschung und DNA-Barcoding eine vollständige Dokumentation sinnvoll ist. Bisherige DNA-Datenbanken verzeichnen zwar DNA-Sequenzen von Organismen, jedoch ist selten wissenschaftlich nachvollziehbar, um welche Art es sich wirklich handelt: es fehlt oft die photographische Dokumentation und das Hinterlegen von Material in naturkundlichen Museen. DNA-Barcoding wird zunehmend als interessante Methode zur Bestimmung von Organismen eingesetzt. Hier werden Arten anhand von kurzen Sequenzstücken ihrer Erbinformation bestimmt, die nach Analyse und Vergleich mit sogenannten Referenz-Datenbanken erfolgt. Das Ergebnis dieser Analyse kann jedoch nur so gut sein, wie die Qualität der verwendeten Referenz-Datenbank. Außerdem zeigt die vorliegende Arbeit, wie wenig wir immer noch von der uns umgebenden Umwelt wissen, denn selbst vor der eigenen Haustür können bei feiner Analyse neue Arten entdeckt werden. Besonders verblüffend ist dies deshalb, weil Berliner Gewässer in Bezug auf Kieselalgen zu den bestuntersuchten der Welt gehören.

Kieselalgen sind die Lunge und Nahrung der Erde

Kieselalgen sind einzellige Algen von meist nur einem Zwanzigstel Millimeter Durchmesser, für deren Beobachtung ein leistungsstarkes Mikroskop erforderlich ist. Sie leben in großer Zahl in Seen, Flüssen und Meeren und besiedeln selbst kleinste feuchte Lebensräume wie Baumrinden und Erde. Die Zahl der Diatomeenarten wird auf mehrere 100.000 geschätzt, wobei erst 30.000 Kieselalgenarten heute beschrieben sind. In Berlin sind bislang 539 Kieselalgenarten nachgewiesen. Trotz ihrer geringen Größe kommt Kieselalgen eine herausragende ökologische Bedeutung zu. Der dank ihrer Photosyntheseaktivität freigesetzte Sauerstoff macht etwa 25 % der weltweiten Sauerstoffproduktion aus. Sie leisten 25 % der Kohlendioxid-Fixierung der Erde, stehen am Anfang der Nahrungskette und tragen 45% zur globalen Primärproduktion bei.

Wichtige Bioindikatoren für die Gewässergüte

Heute werden Diatomeen und ihre dauerhaft erhaltenen Schalen als Bioindikatoren in der Umweltanalyse und zur erdgeschichtlichen Klimarekonstruktion herangezogen. Sie reagieren empfindlich auf Änderungen der Umwelt wie Verschmutzung, Nährstoffversorgung, Säure und Salzgehalt. Sie sind in nahezu allen Gewässertypen zu finden und spielen eine wichtige Rolle in bodenlebenden und freischwimmenden Lebensgemeinschaften. Diatomeen werden routinemäßig als Bioindikatoren innerhalb der EU-Wasserrahmenrichtlinie und global zur Bestimmung der Gewässergüte untersucht.

Charakteristische Kieselschale

Charakteristisch für den Aufbau der Diatomeen sind ihre gläsernen Schalen aus Kieselsäure, weswegen sie auch Kieselalgen genannt werden. Die Schalen umgeben die Zelle schützend, sind sehr vielfältig gestaltet und symmetrisch durchbrochen. Die Form der strukturierten Schalen ist artspezifisch und wurde schon früh in der Naturwissenschaft systematisch erfasst.

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