Wirkmechanismus von neuem Medikament aufgeklärt

30.09.2014 - Deutschland

Eine der modernsten pharmakologischen Waffen gegen den Herzinfarkt ist der Wirkstoff Ticagrelor. Wissenschaftler des Pharmazentrums der Universität Bonn konnten nun aufklären, wie die Substanz genau wirkt. Die Resultate weisen möglicherweise den Weg zu neuen Ticagrelor-Varianten mit weniger Nebenwirkungen. Die Studie erscheint in Kürze im Journal of Thrombosis and Haemostasis.

(c) Foto: AG Prof. v. Kügelgen

Der P2Y12-Rezeptor sitzt in der Membran, die die Blutplättchen wie eine Hülle umgibt. Für dieses Foto wurde der Rezeptor mit einem fluoreszierenden Farbstoff angefärbt.

Ticagrelor verhindert, dass Blutplättchen miteinander verklumpen. Derartige Blutgerinnsel können ansonsten lebenswichtige Gefäße verschließen. Mögliche Folgen: Herzinfarkt oder Schlaganfall. Ticagrelor wird daher oft Herzkranken zur Infarktprophylaxe verabreicht. Das Verklumpen der Blutplättchen wird unter anderem durch das Membranprotein P2Y12 gesteuert. Man wusste bereits, dass Ticagrelor an P2Y12 bindet. Auf welche Weise, war aber bislang unklar.

Die Forscher der Universität Bonn konnten diese Frage nun mit ihrer Studie beantworten. P2Y12 ist ein Rezeptor, also eine Art Antenne, die Signale aus der Umgebung der Zelle empfängt und dann bestimmte Reaktionen in Gang setzt. Das Signal, auf das P2Y12 normalerweise reagiert, ist ein Molekül namens ADP: Sobald ADP an den Rezeptor andockt, beginnen die Blutplättchen zu verklumpen.

„Wir konnten nun zeigen, dass ADP und Ticagrelor an überlappenden Bereichen von P2Y12 binden“, erklärt Professor Dr. Ivar von Kügelgen vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Bonn. „Ticagrelor besetzt also die ADP-Bindungsstelle und blockiert sie. Der Ticagrelor-beladene Rezeptor löst zudem keine Gerinnungsreaktion aus.“

Hoffnung auf bessere Gerinnungshemmer

Die Wissenschaftler konnten im P2Y12-Rezeptor eine Aminosäure identifizieren, die für die Bindung von Ticagrelor enorm wichtig ist. Dieser Erfolg könnte es nun erleichtern, den Wirkstoff zu modifizieren und zu verbessern. Dabei hilft auch der Computer. Denn der Rechner kann in Sekundenschnelle tausende von Varianten durchspielen. Dabei sucht er gezielt nach Ticagrelor-Modifikationen, die theoretisch noch besser an die Schlüsselaminosäuren andocken können. Denn Ticagrelor ist keineswegs perfekt: Es kann beispielsweise Atemstörungen hervorrufen. Durch gezielte Modifikation, so die Hoffnung, lassen sich diese Nebenwirkungen vielleicht mindern oder abstellen.

Schon jetzt setzen Mediziner große Hoffnung in Ticagrelor. Denn das erst vor wenigen Jahren entwickelte Medikament bietet bedeutende Vorteile: Es muss nicht gespritzt werden, sondern lässt sich schlucken. Und seine Wirkung ist reversibel – wenn es zu Blutungen kommt, kann man die Ticagrelor-Gabe einfach stoppen und damit die Gerinnung der Blutplättchen wieder in Gang setzen.

Infarktrisiko sinkt

Vor allem aber hemmt Ticagrelor den P2Y12-Rezeptor direkt. Andere Substanzen werden in inaktiver Form verabreicht und erst in der Leber in das eigentliche Medikament umgewandelt. Da diese Umwandlung bei manchen Patienten besser klappt als bei anderen, ist die Wirkung schlecht kalkulierbar. Bei jedem vierten Patienten hatten die „alten“ P2Y12-Hemmstoffe laut einer klinischen Studie sogar gar keinen Effekt. „Ticagrelor ist in dieser Hinsicht ein deutlicher Fortschritt“, betont Professor von Kügelgen. Für Menschen mit einer Herzerkrankung ist das eine gute Nachricht: Studien zufolge kann Ticagrelor bei ihnen die Infarktrate gegenüber den althergebrachten Wirkstoffen noch einmal messbar senken.

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