Damit ein Fisch vorwärts schwimmen kann, müssen Nervenzellen in seinem Gehirn und Rückenmark fein aufeinander abgestimmt die Hin- und Her-Bewegungen des Schwanzes kontrollieren. Doch auch die Stellung des Schwanzes, die wie ein Heckruder die Schwimmrichtung vorgibt, muss durch Hirnaktivität feinjustiert werden. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie haben nun mit Hilfe der neuen Methode der Optogenetik eine kleine Gruppe von 15 Nervenzellen identifiziert, die die Bewegungen der Schwanzflosse lenken. Auch das menschliche Gehirn kontrolliert Körperbewegungen durch Nervenbahnen in der gleichen Gehirnregion und nutzt daher vermutlich ähnliche Verarbeitungsmechanismen wie der Fisch.
Schon lange versuchen Neurobiologen herauszufinden, wie neuronale Netzwerke tierisches und auch menschliches Verhalten steuern. Dabei wird kontrovers diskutiert, ob das Gehirn eher dezentral oder modular organisiert ist. Bei einer dezentralen Organisation ruft das Zusammenspiel sehr vieler Nervenzellen ein bestimmtes Verhaltensmuster hervor. In diesem Fall kann einzelnen Nervenzellen keine genaue Funktion zugewiesen werden. Ist das Gehirn dagegen modular aufgebaut, würden einzelne Gehirnbereiche bestimmte Kernkompetenzen besitzen, die jeweils einen spezialisierten Beitrag zum Verhalten leisten. Solche neuronalen Schaltkreis-Module könnten ganz unterschiedlich kombiniert werden und eine Reihe verschiedener Verhaltensantworten beeinflussen.
Forscher um Herwig Baier vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie wollen der Organisation des Gehirns mit Hilfe von Zebrafischlarven auf den Grund gehen. Im Hirnstamm dieser Tiere liegt die sogenannte absteigende Retikulärformation. Die Nervenzellen dieser Region eignen sich optimal um die Hirnorganisation zu untersuchen: Die Zellen stehen in direktem Kontakt zu Motoneuronen im Rückenmark der Fische und können so Schwanzbewegungen unmittelbar beeinflussen. „Die Retikulärformation ist wie das "Cockpit" der Fische, und wir haben uns gefragt, ob es hier einzelne "Hebel" gibt, mit denen die Schwanzbewegungen gesteuert werden”, fasst Herwig Baier die Herausforderung zusammen.
Auf ihrer Suche nach den "Hebeln" konzentrierten sich die Forscher auf einen kleinen Gehirnkern (nMLF) innerhalb der Retukulärformation. Doch wie kann der Einfluss einzelner nMLF-Nervenzellen auf die Schwanzbewegungen untersucht werden? Erst seit kurzem sind solche Untersuchungen überhaupt denkbar. Mit der neuen Methode der Optogenetik kann durch Licht die Aktivität von Nervenzellen beeinflusst werden. Da Zebrafischlarven – und auch ihr Gehirn – transparent sind, konnten die Forscher ganz gezielt einzelne, genetisch veränderte Zellen durch das Anleuchten mit blauem Licht "anschalten". Dadurch hervorgerufene Schwanzbewegungen der Fische konnten so einzelnen Nervenzellen zugeordnet werden.
Nervenzellen und Steuerpinnen
Eine erste Reihe Versuche zeigte, dass die Zellen des nMLF-Bereichs scheinbar an vielen Bewegungen beteiligt sind – von der Vorwärts- bis zur Drehbewegung. Eine zweite Versuchsreihe deutete jedoch darauf hin, dass die Zellen vor allem die Auslenkung des Schwanzes steuern. Sind die nMLF-Zellen somit Teil eines multifunktionalen Zentrums oder doch spezialisiert auf bestimmte Funktionen? Um diese Frage zu klären, schalteten die Neurobiologen in einer weiteren Versuchsreihe ganz gezielt einzelne nMLF-Zellen aus. „Dieses Experiment brachte den Durchbruch”, erinnert sich Tod Thiele, der Erstautor der nun erschienenen Studie.
Die Ergebnisse zeigen, dass die nMLF-Zellen zwar bei einer Vielzahl von Schwimmbewegungen aktiv sind. Sie tragen jedoch nur einen Teil der Bewegung bei: Sie geben mit der Haltung des Schwanzes die Schwimmrichtung vor. Die Nervenzellen im nMLF-Bereich sind daher eher ein spezialisiertes Modul in einem dezentralisierten Kontrollsystem des Schwimmapparats. Herwig Baier veranschaulicht dies so: „Man kann das Ganze mit dem Antrieb eines Motorboots vergleichen.” Der Bootsmotor, der den Propeller antreibt, bestimmt die Geschwindigkeit, während die Steuerpinne das Boot lenkt. Im Gehirn werden die Aufgaben anscheinend sehr ähnlich verteilt.
Vor einiger Zeit hatte das Team von Herwig Baier eine kleine Region im Hinterhirn entdeckt, die wie ein Motor wirkt und den Fisch vorantreibt. „Jetzt haben wir mit den nMLF-Zellen auch die Steuerpinne im Fischgehirn gefunden”, freut sich Herwig Baier. Auch im menschlichen Gehirn werden Bewegungen von einer Vielzahl von Kernen in der Retikulärformation kontrolliert. Die Studie legt daher nahe, dass Aufgaben auch in unserem Gehirn ähnlich wie beim Zebrafisch verteilt sein können.