Schlafentzug führt zu Schizophrenie-Symptomen

07.07.2014 - Deutschland

24-stündiger Schlafentzug kann bei gesunden Menschen zu Zuständen führen, die der Schizophrenie ähnlich sind. Das hat ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn und des King’s College London herausgefunden. Die Wissenschaftler verweisen darauf, dass dieser Zusammenhang bei Menschen näher untersucht werden sollte, die nachts arbeiten müssen. Zudem könne Schlafentzug als ein Modellsystem für die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Psychosen dienen. Die Ergebnisse hat nun das Fachmagazin „The Journal of Neuroscience“ veröffentlicht.

Bei einer Psychose kommt es zu einem Verlust des Realitätsbezugs, der mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen verbunden ist. Die chronische Form wird als Schizophrenie bezeichnet, bei der es ebenfalls zu Denkstörungen und Sinnestäuschungen kommt. Betroffene berichten zum Beispiel, dass sie fremde Stimmen hören. Psychosen zählen zu den schweren psychischen Erkrankungen. Ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn hat nun in einem Experiment festgestellt, dass nach einem 24-stündigen Schlafentzug bei gesunden Probanden zahlreiche Symptome festgestellt werden, die sonst typischerweise der Psychose oder der Schizophrenie zugeschrieben werden. „Uns war klar, dass es nach einer durchwachten Nacht zu Beeinträchtigungen des Konzentrationsvermögens kommt“, sagt Prof. Dr. Ulrich Ettinger von der Abteilung Allgemeine Psychologie I des Instituts für Psychologie der Universität Bonn. „Wir waren aber überrascht, wie ausgeprägt und wie breit das Spektrum der schizophrenieähnlichen Symptome war.“

Die Wissenschaftler der Universität Bonn, des King’s College London (England) sowie der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn untersuchten im Schlaflabor des Instituts für Psychologie insgesamt 24 gesunde Probanden beiderlei Geschlechts im Alter von 18 bis 40 Jahren. In einem ersten Durchgang sollten die Testpersonen ganz normal im Labor durchschlafen. Rund eine Woche später wurden sie die ganze Nacht über mit Filmen, Gesprächen, Spielen und kurzen Spaziergängen wachgehalten. Am nächsten Morgen wurden die Probanden jeweils zu ihren Eindrücken befragt. Außerdem führten die Wissenschaftler eine Messung, die so genannte Präpulsinhibition, durch.

Unselektierte Informationen führen zu einem Chaos im Gehirn

„Die Präpulsinhibition ist ein Standardtest zur Messung der Filterfunktion des Gehirns“, erläutert Erstautorin Dr. Nadine Petrovsky aus Prof. Ettingers Team. In dem Experiment ertönt über Kopfhörer ein lautes Geräusch. Bei den Probanden tritt daraufhin eine Schreckreaktion ein, die anhand der Kontraktion der Gesichtsmuskeln mittels Elektroden erfasst wird. Wird zuvor ein schwächerer Reiz als „Präpuls“ gesetzt, fällt die Schreckreaktion geringer aus. „Die Präpulsinhibition zeigt eine bedeutende Funktion des Gehirns: Filter trennen Wichtiges von Unwichtigem und beugen einer Reizüberflutung vor“, sagt Dr. Petrovsky.

Bei den Probanden war diese Filterleistung des Gehirns nach einer durchwachten Nacht stark reduziert. „Es kam zu ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefiziten, wie sie auch typischerweise bei einer Schizophrenie auftreten“, berichtet Prof. Ettinger. „Die unselektierte Informationsflut führte zu einem Chaos im Gehirn.“ Nach dem Schlafentzug gaben die Probanden zudem in Fragebögen an, etwa sensibler für Licht, Farbe oder Helligkeit zu sein. Zeitgefühl und Geruchssinn waren demnach verändert, die Gedanken sprangen. Manche Übernächtigen hatten sogar den Eindruck, Gedanken lesen zu können oder eine veränderte Körperwahrnehmung zu bemerken. „Wir hatten nicht erwartet, dass die Symptome nach einer durchwachten Nacht so ausgeprägt sein können“, sagt der Psychologe der Universität Bonn.

Schlafentzug als Modellsystem für psychische Erkrankungen

Für ihre Ergebnisse sehen die Wissenschaftler ein wichtiges Anwendungspotenzial zur Erforschung von Medikamenten, die gegen Psychosen wirken. „In der Medikamentenentwicklung werden solche psychischen Störungen in Experimenten bislang mit bestimmten Wirkstoffen simuliert. Allerdings vermitteln diese nur sehr eingeschränkt die Symptome von Psychosen“, sagt Prof. Ettinger. Schlafentzug sei ein viel besseres Modellsystem, weil die subjektiven Beschwerden und die objektiv erfasste Filterstörung viel stärker den psychischen Erkrankungen ähnlich seien. Gefährlich ist das Schlafentzugsmodell übrigens nicht: Nach einem ausgiebigen Erholungsschlaf sind die Symptome wieder verschwunden. Forschungsbedarf bestehe außerdem hinsichtlich der Menschen, die regelmäßig nachts arbeiten müssen. „Ob bei diesen Personen durch Gewöhnung die Symptome des Schlafentzugs allmählich schwächer werden, muss erst noch untersucht werden“, sagt der Psychologe der Universität Bonn.

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