Doppelschlag gegen Blutkrebs: Defekte bei Zellteilung könnten Therapie verbessern

Anschlag auf die Zellkraftwerke

06.11.2024
© Wolfgang Däuble

Co-Erstautor Dario Rizzotto (rechts) und Co-Studienleiter Andreas Villunger (links) am CeMM

Die Zellteilung ist ein entscheidender Moment im Lebenszyklus einer Zelle: Geht dabei etwas schief, stoppt sie ihr Wachstum oder tötet sich selbst. Ein bislang unbekannter Prozess, der diesen programmierten Zelltod gleich auf zweifache Weise einleitet, wurde nun von Forschenden in Wien, Innsbruck und Italien entdeckt. Dieser Mechanismus könnte im Kampf gegen Blutkrebs eine wichtige Rolle spielen, da viele neue Krebsmedikamente gezielt in die Teilung der Tumorzellen eingreifen. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift Science Advances.

Es passiert unbemerkt, tausendfach und in jeder Sekunde: Damit ein komplexer Organismus wie der Mensch überleben kann, müssen ständig neue Zellen in großer Zahl produziert werden. Aus der Nähe betrachtet ist jede Zellteilung ein kleines Wunder. Innerhalb weniger Stunden muss nicht nur die gesamte Erbinformation mit ihren Milliarden „Buchstaben“ kopiert werden, sondern auch alle anderen Strukturen der Zelle müssen verdoppelt werden, damit am Ende zwei vollständige, neue Tochterzellen entstehen können.

Kurz vor der Zellteilung bilden sich zwei gegenüberliegende Ankerpunkte aus Eiweißmolekülen, die sogenannten Zentrosomen, aus denen lange Proteinfäden wachsen. Diese dringen bis zum verdoppelten Erbgut vor, haften daran und ziehen je eine Kopie jedes Chromosoms zu den gegenüber liegenden Zentrosomen. Misslingt dabei der letzte Schritt der Zellteilung, können die Auswirkungen verheerend sein. Die neu entstehenden Zellen hätten dann nicht nur doppelt so viel genetische Informationen, aber auch extra Zentrosomen und wären dadurch entweder nicht überlebensfähig oder würden leichter entarten – eine abweichende Zentrosomen Zahl ist bei vielen Krebszellen zu finden. Bevor es dazu kommt, stellt solch eine Zelle in der Regel ihr Wachstum ein, oder zerstört sich selbst.

Anschlag auf die Zellkraftwerke

Wie genau dieser programmierte Zelltod, im Fachjargon Apoptose genannt, bei fehlerhafter Zellteilung eingeleitet wird, haben nun Forschende um Andreas Villunger (Adjunct Principal Investigator am CeMM in Wien und Professor an der Medizinischen Universität Innsbruck) und Luca Fava (außerordentlicher Professor an der Universität Trento, Italien) aufgeklärt. In einer in der Fachzeitschrift Science Advances erschienenen Studie konnten sie zeigen, dass das Verbleiben mehrerer Zentrosomen in einer Zelle – eine Folge gestörter Zellteilung – die Formierung eines großen Proteinkomplexes auf den Plan ruft, das sogenannte PIDDosom.

Dieser Komplex aktiviert wiederum das Enzym Caspase-2, mit dem zwei tödliche Prozesse gleichzeitig angestoßen werden: Einerseits aktiviert es das Molekül BID, das die Mitochondrien, die zellulären Kraftwerke, zerstört und dadurch zum Niedergang der Zelle führt. Andererseits wird durch Caspase-2 der bekannte Tumorsuppressor p53 aktiv, welcher Signalketten einleitet, die ebenfalls zum Zelltod führen. Es kommt also zu einem Doppelschlag, der sicherstellt, dass Zellen mit mehreren Zentrosomen absterben, selbst wenn einer der Faktoren - BID oder p53 - fehlt oder gehemmt ist.

Die Erkenntnisse der Wissenschaftler:innen erweitern nicht nur das Verständnis dieser grundlegenden molekularen Mechanismen, sie könnten auch im Kampf gegen Blutkrebs helfen. Denn ein Kennzeichen aller Tumorzellen ist ihre schnelle und unkontrollierte Zellteilung. Viele Krebsmedikamente greifen daher in die Zellteilung ein und stören sie. Dabei kommt es oft zur Bildung mehrerer Zentrosomen in den Krebszellen – hier könnte man die tödliche Wirkung des PIDDosoms nutzen, um die Wirksamkeit der Medikamente zu verbessern.

„Indem man die Krebszellen auf ihre BID- und Caspase-2-Aktivität untersucht, könnte man in Zukunft jene Patient:innen identifizieren, die am besten auf Medikamente ansprechen, die in die Zellteilung eingreifen“, beschreibt Andreas Villunger das Anwendungspotential der Studie. „Die Überführung von Laborforschung in die klinische Praxis ist ein langwieriger und komplexer Prozess. Ein tieferes Verständnis der Mechanismen bereits zugelassener Medikamente ist jedoch entscheidend, um Therapien sowohl wirksamer als auch weniger invasiv zu gestalten“, fügt Luca Fava hinzu, der davon überzeugt ist, dass seine Forschung dabei helfen könnte, bestehende Medikamente in neuen Kombinationen einzusetzen.“

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