Ringen ums X-Chromosom
MOF-Komplexe steuern genetisches Fair-Play
© MPI f. Immunobiology and Epigenetics/ Tomasz Chelmicki
In männlichen Fruchtfliegen sorgt der Protein-Komplex MSL gemeinsam mit seinem wichtigsten Enzym MOF dafür, dass die Gene des einzeln vorliegenden X-Chromosoms doppelt so intensiv abgelesen werden wie andere Chromosomen. Auch bei Mäusen haben die Geschlechter mit der unterschiedlichen Zahl von X-Chromosomen zu kämpfen. Anders als bei Fliegen aber, die eine verstärkte X-Expression in Männchen zeigen, kommt es bei weiblichen Mäusen zu einer Inaktivierung von einem der beiden X-Chromosomen, was als X-Inaktivierung bezeichnet wird.
Das Team um Asifa Akhtar, Direktorin am Freiburger Max-Planck-Institut, zeigte nun, dass zwei evolutionär konservierte Proteinkomplexe Einfluss haben auf die X-Inaktivierung in Säugerzellen. Beide Komplexe steuern die Funktion des Genregulators MOF. „Am eindrücklichsten ist, dass MOF und seine Protein-Partner die Aktivität der beiden X-Chromosomen in weiblichen Stammzellen aufrechterhalten. Das ist unerlässlich, damit die Zellen ihren einzigartigen Charakter behalten“, sagt Akhtar. Während der Entwicklung weiblicher Säugetiere muss eines von zwei X-Chromosomen abgeschaltet werden, um so die gleiche Anzahl an Genen in Männchen und Weibchen zu schaffen. Dieser Vorgang wird „Dosiskompensation“ genannt. In embryonalen Stammzellen jedoch müssen beide X-Chromosomen aktiv bleiben.
Die Studie weist nun nach, dass der MOF-Protein-Komplex eine entscheidende Rolle bei dieser Regulierung spielt. Der MOF-MSL-Komplex reguliert das Gen Tsix. Tsix wiederum hemmt die Produktion von Xist, einem RNA-Molekül, das für die X-Inaktivierung verantwortlich ist. Der Protein-Komplex MOF-NSL stellt die Identität als Stammzelle sicher, indem er mehrere Transkriptionsfaktoren aktiviert und so effizient der Bildung der Xist-RNA entgegenstrebt, die die X-Hemmung zur Folge hätte.
„Es war überwältigend zu sehen, dass das gleiche Protein sowohl in Mäusen als auch in Fliegen an der X-chromosomalen Gendosierung beteiligt ist, obwohl die Mechanismen Welten voneinander entfernt scheinen“, ergänzt Ko-Erstautor Tomasz Chelmiki. Zudem beeinflussen die MOF-assoziierten Komplexe die Expression tausender Gene in Mauszellen.
Die Kombination leistungsstarker Sequenzier-Methoden und biochemischer Experimente ermöglichte detaillierte Einblicke in genomweite Wechselwirkungen von MSL und NSL. „Es ist eine echte Herausforderung, die stetig wachsende Menge von Daten zu analysieren, die durch Hoch-Durchsatzverfahren entsteht“, sagt Ko-Erstautorin Friederike Dündar. „Aber es erlaubt uns zu untersuchen, wie unterschiedliche Komplexe zusammenwirken und einander ergänzen, um das gleiche Ziel in der Zelle zu erreichen.“
Das MOF-Enzym ist in der Zelle für die Azetylierung von Histonen zuständig. Diese post-translationale Modifikation macht die DNA leichter zugänglich für die Gen-Ablese-Maschinerie der Zelle. Beitragen werden die Studienerkenntnisse zu einem besseren Verständnis komplexer zellulärer Vorgänge wie etwa Embryonalentwicklung, Organogenese und krankhafter Veränderungen wie etwa Krebs.