Von der Krankheit der anderen lernen

Das Hundestaupevirus dient als Modell für zwei Erkrankungen des Menschen

24.04.2014 - Deutschland

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Institut für Pathologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) haben staupebedingte Veränderungen der Genaktivität im Gehirn von Hunden analysiert und die dazugehörigen biologischen Prozesse identifiziert. Ihre Ergebnisse haben sie in dem Online-Fachmagazin PLOS ONE veröffentlicht.

Staupe ist eine weltweit bei Hunden und anderen Fleischfressern auftretende, hochansteckende Virusinfektion. Abhängig vom Alter und dem Immunstatus des Hundes kommt es entweder zu einer ausreichenden Immunantwort und einer Heilung oder zu einer systemischen Ausbreitung des Virus. Klinisch erkrankte Hunde zeigen verschiedene pathologische Veränderungen wie Lungen- und Darmentzündungen sowie Entzündungen im Gehirn. Das kanine Staupevirus ist ein Morbillivirus und gehört zur Familie der Paramyxoviridae. Es ist eng mit dem Masernvirus des Menschen verwandt.

Die durch das Staupevirus bei Hunden hervorgerufenen Gehirnveränderungen nutzen die Forscher als natürlich vorkommendes Modell für zwei Erkrankungen des Menschen: Multiple Sklerose und subakute sklerosierende Panenzephalitis. Bei der Letzteren handelt es sich um eine Spätkomplikation der Maserninfektion. „Unser Ziel war es, zu analysieren, ob es Gene gibt, die nach einer Infektion häufiger oder seltener abgelesen werden und Prozesse zu identifizieren, die die Nervenfasern sowie ihre Myelinscheiden, und damit das Gehirn schädigen“, sagt Dr. Reiner Ulrich, PhD, aus dem Institut für Pathologie der TiHo. Die durch Staupe auftretende Gehirnentzündung lässt sich je nach den Veränderungen in drei Typen einteilen: akute, subakute und chronische Leukoenzephalitis. Leukoenzephalitis bezeichnet einen entzündlichen Prozess der weißen Substanz und somit der Nervenfasern. Bei der subakuten und chronischen Form kommt es zu einer sogenannten Demyelinisierung oder auch Entmarkung im Zentralnervensystem: Die Myelinscheide isoliert die einzelnen Nervenfasern im Zentralnervensystem. Sie ist für die Impulsweiterleitung unersetzlich. Ihre Zerstörung, die Demyelinisierung, führt dazu, dass Nervenimpulse nicht weitergeleitet werden können.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten Kleinhirnproben von natürlich infizierten Hunden und verglichen ihre Ergebnisse mit Hunden einer gesunden Kontrollgruppe. Sie untersuchten alle drei Subtypen der Erkrankung. Für ihre Tests verwendeten sie die sogenannte Mikroarray-Technologie. Diese Technik ermöglicht es, die Ableseaktivität, also die Expression, aller Gene eines Säugetiers gleichzeitig zu bestimmen. „Wir untersuchten das Gewebe auf Gensequenzen, die im Vergleich zur Kontrollgruppe ein anderes Expressionsmuster aufweisen“, erklärt Professor Dr. Wolfgang Baumgärtner, PhD, Leiter des Instituts für Pathologie. Die gefundenen Genabschnitte werden „differenziell exprimiert“ genannt.

Etwa 780 differentiell exprimierte Gensequenzen konnten die Wissenschaftler ausmachen. Die Hauptveränderung bei allen Subtypen der Staupeinfektion war eine Hochregulierung von Genen, die im Zusammenhang mit der Immunantwort stehen. „Das lässt darauf schließen, dass bereits bei der akuten und subakuten Form, zahlreiche Botenstoffe produziert werden, die eine Immunreaktion im Gehirn starten. Die eigentlichen Entzündungszellen wandern dann allerdings erst bei der chronischen Form in das Gewebe ein“, sagt Ulrich. Zeitgleich mit dem Einwandern der Entzündungszellen werden unter anderem Gene hochreguliert, die bei der Antikörperbildung abgelesen werden. Das bedeutet, dass es zu einer bei gesunden Individuen normalerweise nicht stattfindenden Antikörperbildung im Gehirn kommt. Bereits vorherige Studien verschiedener Wissenschaftler legten nahe, dass sich bei der Staupe Antikörper gegen das Myelin der Nervenfasern richten und in der späten Erkrankungsphase eine immunvermittelte Demyelinisierung wie bei der Multiplen Sklerose bewirken. Die Entdeckungen der TiHo-Forscher zur Genaktivität untermauern deren Thesen.

„Das Besondere bei der Staupe ist, dass die Demyelinisierung bereits im subakuten Stadium einsetzt, noch bevor die Immunzellen einwandern. Möglicherweise schädigt das Virus in diesem Stadium die myelinbildenden Zellen, wodurch es zu degenerativen Veränderungen an den Myelinscheiden kommt. In der chronischen Form folgt dann durch den Angriff des Immunsystems die entzündliche Myelinschädigung“, sagt Ulrich. Diese Vermutung wird durch die in der aktuellen Studie nachgewiesene Herunterregulation der myelinscheidenspezifischen Gene bei der subakuten Form unterstützt. Die Myelinscheiden ausgewachsener Säugetiere unterliegen einer ständigen Umgestaltung, bei dem kontinuierlich neu gebildete Bausteine gebraucht werden. Durch die Drosselung der Genexpression werden diese Bausteine nicht mehr so effektiv gebildet und die Myelinscheide degeneriert.

„Durch die Studie haben wir einen guten Überblick über die genetischen Veränderungen des staupeinfizierten Gehirns gewonnen. Diese Erkenntnisse bringen uns in der Erforschung von Erkrankungen, die mit einer Entmarkung einhergehen, wieder einen Schritt weiter“, sagt Baumgärtner.

 

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