Mit weniger Licht Hirnzellen schalten

03.04.2014 - Deutschland

Vernetzte Nervenzellen bilden die Steuerzentrale von Organismen. Beim Fadenwurm reichen schon 300 Nervenzellen, um komplexes Verhalten hervorzurufen. Um die Eigenschaften der Netze zu verstehen, schalten Forscher etwa mit Licht Zellen gezielt an oder aus und beobachten das resultierende Verhalten des Organismus. Im Magazin Science stellen Forscher nun ein Protein vor, das Nervenzellen noch leichter durch Licht steuerbar macht. Es könnte als Grundlage für Forschung dienen, die Ursachen von Krankheiten des Nervensystems aufklärt.

J. Wietek/HU Berlin

Nervenzellen bilden Netzwerke, die Signale verarbeiten können.

Um eine Nervenzelle mit Licht zu schalten, nutzt man bestimmte Proteine, die Ionenkanäle in der Zellmembran bilden, die Kanalrhodopsine. Trifft Licht auf die Kanäle, öffnen sie sich, Ionen treten ein und die Zelle wird dann gezielt aktiv oder inaktiv. Damit hat man ein sehr feines Werkzeug, um gezielt Funktionen im Netzwerk von Nervenzellen zu untersuchen. Bislang waren jedoch große Lichtmengen notwendig, sodass nur eng begrenzte Gebiete im Netzwerk auf einmal geschaltet werden konnten. Das nun vorgestellte Kanalrhodopsin ChloC reagiert etwa 10.000-mal empfindlicher auf Licht als bisherige Proteine mit denen Nervenzellen ausgeschaltet werden können.

„Für den Umbau des Proteins haben wir dessen Struktur am Computer analysiert“, erklärt Marcus Elstner vom KIT. Der theoretische Chemiker und sein Team haben die Proteine, die aus rund 5000 Atomen bestehen, modelliert und nutzten dazu die Hochleistungscomputer am KIT-Rechenzentrum, dem Steinbuch Center for Computing SSC. Mitsamt der Proteinumgebung, also Zellmembran und Zellwasser, waren rund 100 000 Atome für die Berechnungen zu berücksichtigen, die mehrere Wochen Rechenzeit beanspruchten. „Es zeigt sich, dass die Ionenleitfähigkeit des Kanals entscheidend auf drei Aminosäuren in der zentralen Region aufbaut, also auf nur rund 50 Atome im Kanal.“ Durch den Austausch der Aminosäuren ist es nun gelungen, die Empfindlichkeit des Ionenkanals zu steigern.

Licht-aktivierte Ionenkanäle, die sogenannten Kanalrhodopsine (Channelrhodopsins) aus Mikroalgen werden seit dem Jahre 2005 genutzt. In neuronalen Schnitten oder in lebenden, transgenen Modellorganismen wie Fliegen, Zebrafisch oder Mäusen erlauben sie es gezielt definierte ausgewählte Zellen mit Licht zu aktivieren, um ihre Rolle im Zellverbund funktionell zu verstehen. Diese Technologie ist heute als Optogenetik bekannt und bereits sehr weit verbreitet. Sie hat es in den letzten Jahren möglich gemacht, die Biologie der Signalverarbeitung besser zu verstehen. Dazu wurden bislang unzugängliche neuronale Bahnen kartiert und viele Zusammenhänge zwischen Proteinen, Zellen, Geweben und Arbeitsweise des Nervensystems entdeckt.

In der aktuellen Studie im Science-Magazin haben Forscher aus Karlsruhe, Hamburg und Berlin gemeinsam die Ionenkanäle weiterentwickelt. Jonas Wietek und Nona Adeishvili aus der Gruppe von Peter Hegemann an der Humboldt-Universität zu Berlin ist es gelungen, den Selektivitätsfilter der Kanalrhodopsine zu identifizieren und diesen so zu modifizieren, dass selektiv negativ geladene Chloridionen geleitet werden. Diese Chlorid-leitenden Kanäle haben die Wissenschaftler ChloC genannt. Hiroshi Watanabe aus der Gruppe um Markus Elstner vom Karlsruher Institut für Technologie KIT hat begleitend die Ionenverteilung im Protein berechnet und die erhöhte Chloridverteilung visualisiert. Simon Wiegert aus der Gruppe um Thomas Oertner vom Zentrum für Molekulare Neurobiologie in Hamburg konnte anschließend an neuronalen Schnitten zeigen, dass ChloC in ausgewählte Neuronen eingebracht werden können, um diese mit sehr geringen Lichtintensitäten zu inaktivieren, so wie das im lebenden Organismus erfolgt. Mit ChloC steht jetzt ein neues optogenetisches Werkzeug bereit, das in den Neurowissenschaften genutzt werden kann, um zusammen mit den bisher bekannten lichtaktivierten Kationenkanälen, die vornehmlich Natriumionen und Protonen leiten, die Verschaltung neuronaler Netzwerke zu studieren. Dieses Grundlagenwissen könnte helfen, um die Mechanismen von Krankheiten wie Epilepsie und Parkinson besser zu verstehen. Darauf könnten in einigen Jahren Konzepte für Therapien aufbauen, die zielgenauer sind als breit gestreute Medikamente.

Originalveröffentlichung

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