Virtueller Blutfluss

Ein neues Computerverfahren kann realitätsnah simulieren, wie Medikamente in der Leber wirken

21.03.2014 - Deutschland

Was passiert, wenn ein Wirkstoff mit dem Blutstrom in die Leber kommt und mit dem Organ reagiert? Und was, wenn Teile der Leber geschädigt sind und das Medikament nicht richtig verstoffwechseln können? Fragen wie diese lassen sich mit einer neuen Computersimulation detaillierter als zuvor beantworten. Fachleute des Fraunhofer-Instituts für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen waren maßgeblich an der Entwicklung eines Programms beteiligt, das Blutströme und Stoffwechselprozesse in der Leber realitätsnah simuliert. Ihre Ergebnisse stellen die Experten jetzt im Fachmagazin „PLOS Computational Biology“ vor.

Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS

Die Simulation einer Kontrastmittelinjektion in die Leber.

Im Körper erfüllt die Leber mehrere Aufgaben: Sie reinigt das Blut von Schadstoffen, produziert lebenswichtige Eiweiße und speichert Vitamine. Beim Menschen fließen pro Stunde rund 90 Liter Blut durch das Organ. Um im Detail simulieren zu können, wie dieses Blut durch die Leber strömt und wie die in ihm enthaltenen Wirkstoffe reagieren, gehen die Forscher von einem hochaufgelösten 3D-Bild des Organs aus. Für die Veröffentlichung in „PLOS Computational Biology“ verwendeten die Experten das Bild einer Mäuseleber, aufgenommen mit einem Computertomographen.

Auf der Basis der Bilddaten rekonstruieren sie zunächst die präzise Struktur des fein verästelten Gefäßsystems. Dann wird die Leber in rund 50.000 virtuelle Würfelchen unterteilt – im Gegensatz zum bisherigen Vorgehen bei Simulationen in pharmakokinetischen Untersuchungen, in denen das Organ als eine einzige „Blackbox“ abgehandelt wird. „Zwar besteht eine Mäuseleber aus vielen Millionen Zellen“, erläutert MEVIS-Forscher Ole Schwen. „Doch um die Rechenzeit in einem vertretbaren Rahmen zu halten, fassen wir in jedem der Würfelchen das Verhalten von mehreren tausend Zellen zusammen.“ Damit das Resultat realistisch gerät, greifen die Experten auf eine reichhaltige Datenbasis aus der biomedizinischen Forschung zurück, die das Stoffwechselverhalten von Leberzellen beschreibt.

Das Ergebnis der Simulation: Blutströme und Stoffwechselreaktionen lassen sich detailliert am Bildschirm verfolgen. Beispielsweise kann ein virtuelles Kontrastmittel gespritzt werden. Anschließend lässt sich am Monitor beobachten, wie schnell sich das Mittel in den verschiedenen Bereichen der Leber anreichert und wie anschließend seine Konzentration allmählich abklingt. Doch das Verfahren, das im Rahmen des „Virtual Liver Networks“ gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Experimentelle Molekulare Bildgebung des Universitätsklinikums Aachen und Bayer Technology Services aus Leverkusen entwickelt wird, vermag noch mehr. So lässt sich nachbilden, dass bestimmte Bereiche der Leber verfettet sind – mittlerweile eine Volkskrankheit. Startet jetzt die Simulation, lässt sich beobachten, dass die verfetteten Leberregionen das lipophile Kontrastmittel effektiver aufnehmen als das gesunde Gewebe. Auch die Stoffwechselreaktionen anderer Medikamente lassen sich simulieren – sowohl für gesunde Lebern als auch für Organe, die verfettet sind oder etwa durch eine Paracetamol-Überdosierung geschädigt wurden.

„Die bislang verwendeten Computermodelle betrachten die Leber nur als Ganzes“, sagt Projektleiter Tobias Preusser. „Unser Verfahren kann erstmals simulieren, was im Inneren des Organs tatsächlich passiert.“ Damit hat sie das Potenzial, zu einem nützlichen Forschungswerkzeug der Pharmaunternehmen zu werden. Wie etwa wirkt ein neues Medikament bei Patienten, deren Leber zum Teil verfettet oder anders geschädigt ist? Fragen wie diese könnten sich künftig mit dem neuen Simulationsverfahren klären lassen. Manch ein Tierversuch könnte damit womöglich überflüssig werden. Denkbar ist auch, dass sich die Technik in fernerer Zukunft in der klinischen Praxis einsetzen lässt. Hier ließe sich zum Beispiel für jeden Patienten individuell abschätzen, ob ein bestimmtes Lebermedikament bei ihm anschlagen dürfte oder nicht.

Zuvor aber wollen die MEVIS-Experten ihre Software noch weiterentwickeln. Die aktuelle Veröffentlichung im Journal „PLOS Computational Biology“ basiert auf dem CT-Scan einer Mäuseleber. „Prinzipiell ist es kein Problem, die Simulation auch für eine menschliche Leber durchzuführen“, sagt Ole Schwen. „Außerdem vergleichen wir unsere Simulationen derzeit mit den Ergebnissen von Experimenten, um in Erfahrung zu bringen, ob das neue Verfahren auch quantitativ die richtigen Resultate bringt.“

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