Dank Hormon gelassener bei ärgerlichem Gegenüber?

19.02.2014 - Deutschland

Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung reagieren höchst sensibel auf reale oder vermeintliche Zurückweisung durch ihre Mitmenschen. Das körpereigene Hormon Oxytocin kann die übersteigerte Sensibilität für kurze Zeit abmildern, wie eine Studie der Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie Heidelberg (Ärztliche Direktorin: Professor Dr. Sabine Herpertz) nun gezeigt hat. Die Heidelberger Wissenschaftler entdeckten, dass Borderline-Patientinnen die Augen ärgerlicher Gesichter verstärkt fixieren und nicht etwa versuchen, dem feindseligen Gegenüber durch Wegschauen auszuweichen. Diese unbewusste Reaktion geht mit einer im Vergleich zu gesunden Probanden erhöhten Aktivität in einem Gehirnbereich (Amygdala) einher, in dem Eindrücke emotional bewertet werden und Angst oder Wut auslösen können. Eingeatmetes Oxytocin normalisierte in der Studie Blickbewegungen und Gehirnaktivität der Patientinnen. Die Ergebnisse sind im American Journal of Psychiatry erschienen.

Patienten mit Borderline-Syndrom leben in Folge traumatischer Erfahrungen in der Kindheit in der ständigen Sorge, von ihren Mitmenschen abgelehnt oder negativ beurteilt zu werden. Sie neigen daher dazu, Bemerkungen oder Gesichtsausdrücke in diesem Sinne zu interpretieren. Die Ergebnisse der aktuellen Heidelberger Studie sprechen dafür, dass diese Überempfindlichkeit auf bedrohliche Signale bereits in einem sehr frühen, unbewussten Stadium der Informationsverarbeitung verankert ist.

Betroffene schenken Gesichtern, in denen sich Ärger widerspiegelt, unbewusst mehr Aufmerksamkeit als Gesunde dies tun: Sie schauen den Gesichtern schneller und häufiger in die Augen. Gleichzeitig erzeugt der bedrohliche Reiz auch eine heftigere Reaktion im Gehirn. „Diese hohe Gehirnaktivität in bestimmten Bereichen der Amygdala könnte erklären, warum die Patienten empfindlicher und heftiger als Gesunde auf negative Signale ihrer Mitmenschen reagieren, häufig mit aggressivem Verhalten gegen sich oder andere“, erklärt Studienleiterin Dr. Katja Bertsch, Wissenschaftlerin an der Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie.

Oxytocin könnte Therapie erleichtern und Misstrauen abbauen

Diese reflexartige Reaktion und die damit verbundene Gehirnaktivität wurde in der Studie durch das Hormon Oxytocin auf ein normales Niveau gesenkt. Für die Studie erhielten 40 Patientinnen und 41 gesunde Vergleichspersonen per Nasenspray Oxytocin oder ein Placebo, also ein Präparat ohne Wirkstoff. Anschließend wurden ihre Augenbewegungen erfasst und die Hirnaktivität mittels Magnetresonanztomographie dargestellt, währen sie unterschiedliche Gesichtsausdrücke betrachteten.

In weiteren Studien gilt es zu prüfen, welchen Einfluss diese Wirkung von Oxytocin auf die Gefühle der Probanden hat, ob sie sich sicherer fühlen und gelassener reagieren. Außerdem prüft die Heidelberger Arbeitsgruppe in einer gerade angelaufenen Untersuchung, ob Oxytocin sich dämpfend auf aggressives Verhalten auswirken könnte. Zum Medikament eignet sich das Hormon, das bei Gesunden Angst- und Stresserleben im zwischenmenschlichen Austausch vermindert, trotz seiner positiven Wirkung derzeit noch nicht – die Halbwertszeit beträgt in der jetzigen Verabreichungsform als Spray lediglich 45 Minuten. „Wir hoffen allerdings, Oxytocin in Zukunft begleitend zur Psychotherapie einsetzen zu können, damit die Patienten sich im Gespräch mit dem Therapeuten weniger bedroht fühlen, leichter Vertrauen aufbauen und die Therapie als hilfreich erleben“, erklärt Dr. Bertsch. „Das muss aber noch genauer untersucht werden.“

Das Borderline-Syndrom ist eine psychische Störung, die häufig mit extremen
Stimmungsschwankungen, heftigen, als unkontrollierbar erlebten Gefühlsausbrüchen und Schwierigkeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen einhergeht. Die Betroffenen geraten im Alltag in quälende Anspannungszustände, in denen viele zu Selbstverletzungen und anderen selbstschädigenden Verhaltensweisen neigen. Experten schätzen, dass etwa sechs Prozent der Jugendlichen und bis zu zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland, darunter leiden.

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