Wissenschaftler beleuchten „dunkle Materie“ in der Biologie

21.01.2014 - Deutschland

Forscher der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Lausanne haben die Funktion und Evolution einer bislang unverstandenen Kategorie von Genen untersucht, die eine entscheidende Rolle für die Funktion unserer Organe und der Embryonalentwicklung spielen.

Die klassische Funktion eines Gens ist die Kodierung von Informationen für die Synthese von Proteinen, die für die Funktion von Zellen essentiell sind. Das Genom des Menschen und anderer Wirbeltiere enthält aber auch solche Gene, die lange, nicht-kodierende RNA-Stränge produzieren und deren Funktion bislang im Dunkeln lag. Seit fünf Jahren ist bekannt, dass tausende solcher Gene mit bislang unbekannter Funktion beim Menschen und anderen Säugetieren vorkommen. Wie und in welchen Organen werden sie aktiviert? Bedeuten sie eine Art „dunkle Materie“ in der Biologie ohne jede Funktion? Sollten diese Abschnitte wirklich keinen Nutzen haben? Warum wurden sie dann über viele Millionen Jahre konserviert? Um diese Fragen zu beantworten konnten Wissenschaftler der Humboldt-Universität in Zusammenarbeit mit dem EPFL (Écolepolytechnique fédérale de Lausanne), dem Swiss Institute of Bioinformatics (SIB) zeigen in einem Artikel der Zeitschrift Nature, dass einige dieser Gene über einen langen Zeitraum der Evolution Bestand hatten und unter den heute lebenden Organismen in elf untersuchten Arten, von Vertretern der Amphibien bis hin zum Menschen, nachweisbar sind.

Elf Arten wurden verglichen

Ein Team unter der Leitung von Prof. Henrik Kaessmann von der Universität Lausanne (Center for Integrative Genomics) hat einen umfassenden Katalog solcher Gene zusammengestellt. Eine evolutionäre Analyse hat ergeben, dass bereits vor 90 Millionen Jahren mindesten 2500 solcher Gene beim gemeinsamen Vorfahren der heute lebenden höheren Säugetiere (Placentalia) vorhanden waren. Die funktionelle Analyse dieser Gene ergab aufschlussreiche Ergebnisse. Es wurden sechs Primatenarten (Mensch, Rhesusaffe, Schimpanse, Bonobo, Gorilla und Orang-Utan), ein Vertreter der Nagetiere (Hausmaus), ein Vertreter der Beuteltiere (Opossum) und sogar ein Vertreter der seltenen eierlegenden Säugetiere (Schnabeltier) untersucht und mit Vertretern der sogenannten Außengruppe (Amphibien, Vögel) verglichen. Der gemeinsame Vorfahre dieser systematischen Gruppen lebte vor etwa 350 Millionen Jahren.

Evolution

Durch den Vergleich der gewonnen Ergebnisse mit Informationen aus entsprechenden Datenbanken und dem konsequenten Einsatz der Bioinformatik konnten aus der unendlich-scheinenden Informationsflut der untersuchten Genome mehrere tausend solcher nicht-kodierenden Gene identifiziert werden. Der vergleichende Ansatz ergab auch Aufschlüsse über die Entstehung dieser Gene während der Evolution. So waren 11000 dieser nicht-kodierenden Gene beim Vorfahren der Primaten vorhanden, 2500 können für die gemeinsame Stammart der höheren Säugetiere angenommen werden und selbst der gemeinsame Vorfahre aller untersuchten Vertreter der Wirbeltiere besaß bereits ein hundert dieser nicht-kodierenden Gene. Welche Funktion kann also diesen Abschnitten des Genoms zugesprochen werden? Die Antwort auf diese Frage ist komplex aber es ist immerhin erstaunlich, dass kodierende und nicht-kodierende Gene offensichtlich von denselben Transkriptionsfaktoren reguliert werden und zwar in organspezifischer Ausprägung. Andere wiederum werden nur im Zusammenhang mit der Embryonalentwicklung reguliert. So ist vorstellbar, dass die Embryonalentwicklung der höheren Säugetiere, mit ihrer langen Entwicklung im Mutterleib und den bislang rätselhaften Beziehungen zwischen mütterlichem und kindlichem Organismus, besonders auch der Plazenta, nur auf dieser Grundlage verstanden werden können. „Dies wäre ein Durchbruch im Verständnis für die Fortpflanzung der Säugetiere“, sagt Ulrich Zeller von der Humboldt-Universität zu Berlin.

Neues Netzwerk interagierender Gene

In der dritten Phase der Untersuchung konnten die Wissenschaftler zeigen, dass es offensichtlich ein Netzwerk von Interaktionen zwischen kodierenden und nicht-kodierenden Genabschnitten gibt, die spezifisch für bestimmte Gewebe oder Organe sind. So wurden beispielsweise solche funktionellen Verknüpfungen im Gehirn oder auch in keimzellenbildenden Geweben (z.B. Hoden) gefunden. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass nicht-kodierende Genabschnitte, die bislang als „dunkle Materie“ der Biologie betrachtet wurden, eine entscheidende Rolle für die Funktion unserer Organe und der Embryonalentwicklung spielen. „Organismische und molekulare Biologie stehen sich offensichtlich nicht mehr verständnislos gegenüber. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Forschungsergebnisse und der daraus resultierende Denkansatz einen neuen Impuls in Richtung einer umfassenden, holistischen Betrachtungsweise setzen, die einer molekularen Morphologie und Evolutionsbiologie nahekommt“,erklärt Zeller von der Humboldt-Universität zu Berlin.

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