Solarbetriebene Meeresschnecken nutzen Chloroplasten als Nahrungsvorrat

03.01.2014 - Deutschland

Solarbetriebene Meeresschnecken nutzen Chloroplasten aus Algen, die sie aussaugen, nicht nur um photosynthetisch erworbene Betriebsenergie zu nutzen, sondern auch als Nahrungsvorrat. Die Schnecken können ohne Sonnenlicht dank der Chloroplasten lange Zeiten hungern, ohne zu sterben, wie ein Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Prof. Dr. Heike Wägele, Stiftung zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere in Bonn jetzt in der Zeitschrift Proceedings of the Royal Society veröffentlichte. Gregor Christa erhielt für die Ergebnisse und deren Vorstellung einen Preis für die interessanteste Forschung und deren Präsentation.

Heike Wägele, ZFMK

Elysia timida: Eine im Mittelmeer lebende Schnecke, die mehrere Monate ohne Algennahrung auskommen und dann nur von den aus den Algen eingelagerten Chloroplasten im Verdauungstrakt überleben kann.

Heike Wägele, ZFMK

Plakobranchus ocellatus: Ein World Champion im Hungern: Diese pazifische Form überlebt 8 Monate ohne Nahrungszufuhr.

Heike Wägele, ZFMK
Heike Wägele, ZFMK

Innerhalb der Meeresschnecken gibt es die Gruppe der Sackzüngler (Sacoglossa), deren unspannend klingender Name zunächst nicht vermuten lässt, dass sie Evolutionsbiologen und Pflanzenphysiologen ein großes Rätsel aufgibt. Diese kleine Gruppe von Schnecken mit knapp 300 beschriebenen Arten saugt Algen aus. Allerdings lagert sie deren funktionelle Chloroplasten in Zellen des Verdauungstraktes ein, anstatt die Nahrung komplett zu verdauen. Die Chloroplasten bleiben bei diesem Vorgang photosynthetisch aktiv. Die Schnecken können auf Grund dieser noch funktionierenden „Kleptoplasten“ (gestohlene Plastiden) Wochen bis Monate ohne weitere Nahrungsaufnahme auskommen. Ein angepasstes Verhalten der Schnecken führt dazu, dass die Chloroplasten außerhalb ihres ursprünglichen Lebewesens lange Zeit als Nahrungsreservoir funktionstüchtig gehalten werden.

Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Heike Wägele, Stiftung Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere in Bonn untersucht seit einigen Jahren die Evolution dieses einzigartig im Tierreich vorkommenden Phänomens. Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. William F. Martin an der Universität Düsseldorf konnte sie kürzlich klären, dass kein horizontaler Gentransfer zwischen den Algen und den Schnecken stattgefunden hat. Dieser wurde jahrelang postuliert um zu erklären, warum geklaute Chloroplasten mit geringer genetischer Ausstattung trotzdem Monate lang funktionieren können. Mit einer 2011 erschienenen Publikation (Wägele et al. 2011) brach nicht nur für die Wissenschaftler ein Mythos zusammen, da dieser potentielle Fall von horizontalem Gentransfer von einem mehrzelligen Pflanzenorganismus in einen mehrzelligen tierischen Organismus einzigartig gewesen wäre. Dieser Mythos war so faszinierend, dass die Schnecken auch regelmäßig ein Thema für Evolution in der Oberstufe unserer Schulen war.

Nun forschen die beiden Arbeitsgruppen an alternativen Modellen, die die Langlebigkeit der Chloroplasten und Schnecken erklärt. Zahlreiche Untersuchungen am ZFMK haben bereits gezeigt, dass das Verhalten der Tiere, insbesondere die Vermeidung von zu viel Licht, zu einer Schonung der Chloroplasten beiträgt. In einem weiteren wichtigen Puzzlestein konnte der Doktorand Gregor Christa aus der Arbeitsgruppe Wägele kürzlich über Photosyntheseblocker und Hälterung im nicht photosynthetisch aktiven Licht zeigen, dass die Schnecken sehr lange überleben, auch wenn sie nicht photosynthetisch aktiv sein können. Gleichzeitig haben die Forscher aber bestätigt, dass die Chloroplasten tatsächlich noch aktiv Kohlenstoff fixieren können. „Ich gehe bereits seit einiger Zeit davon aus, dass die Chloroplasten eher wie ein Nahrungsdepot funktionieren“ erläutert Wägele. Sie vergleicht die Einlagerung mit einem reich gedeckten Tisch. Auch wir können nur eine begrenzte Menge essen, der Rest wird vernichtet. Wenn allerdings die nicht verkonsumierten Lebensmittel in einem Kühlschrank eingelagert werden (oder wie bei den Schnecken nicht sofort im Verdauungstrakt verdaut werden), dann haben wir viel länger davon. Wenn dann noch zusätzlich der Inhalt des Kühlschranks wie ein Hefeteig weiter wächst (oder wie bei den Schnecken die Chloroplasten weiter über ihre Aktivität Speicherstoffe aufbauen), dann steigert dies natürlich noch die Überlebensfähigkeit.

Originalveröffentlichung

Christa G, Zimorski V, et al., Plastid-bearing sea slugs fix CO2 in the light but do not require photosynthesis to survive. Proceedings of the Royal Society B: Biology. 2013

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