Tochterklone bei Blutkrebs

30.09.2013 - Deutschland

Verluste, Austausche oder Vervielfältigungen ganzer Chromosomen oder Teilen davon kommen bei Blutkrebs wie der akuten myeloischen Leukämie (AML) häufig vor. Oft finden sich im Blut der Patienten verschiedene „Tochterklone“ von Krebszellen, deren Chromosomendefekte voneinander abweichen. Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum und den Universitätsklinika Heidelberg und Dresden wiesen jetzt erstmals bei der AML nach, dass das Vorhandensein von Tochterklonen einen ungünstigen Verlauf der Erkrankung signalisiert.

Tumoren gelten als „Klone“, als gemeinsame Abkömmlinge einer einzelnen, entarteten Zelle. Ganz so uniform, wie man es von einem „Klon“ erwarten könnte, geht es bei Krebszellen jedoch nicht zu. Die Analyse einzelner Zellen aus einem Tumor brachte eine oft erstaunliche genetische Vielfalt zu Tage. Der überwiegende Teil der Erbgut-Differenzen betrifft nur einzelne Genbausteine. Bei vielen Krebsarten unterscheiden sich die Tumorzellen eines Erkrankten jedoch auch durch große, strukturelle Chromosomen-Defekte. Diese Verluste, Austausche oder Vervielfältigungen ganzer Chromosomen oder Chromosomenabschnitte sind unter dem Mikroskop sichtbar. Besonders bei Blutkrebserkrankungen sind so genannte Tochterklone mit voneinander abweichenden Chromosomen-Defekten häufig.

„Bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) kommen Chromosomen-Defekte häufig vor. Bei vielen Patienten finden wir außerdem verschiedene Tochterklone der Krebszellen. Allerdings war bei der AML nicht bekannt, ob dieses Phänomen für den Verlauf einer Erkrankung eine Rolle spielt“, sagt Professor Dr. Alwin Krämer, der eine klinische Kooperationseinheit des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Universitätsklinikums Heidelberg leitet.

Krämer und seine Mitarbeiter untersuchten nun im Rahmen der „Studienallianz Leukämie“ bei über 2600 AML-Patienten die Chromosomenbilder, den so genannten „Karyotyp“, der Krebszellen. Bei etwa der Hälfte der Erkrankungen wiesen die Forscher Chromosomenanomalien nach. Bei rund einem Drittel davon fanden sie verschiedene Tochterklone, die sich anhand ihrer Chromosomendefekte unterschieden.

In den meisten Fällen ließ sich auch das verwandtschaftliche Verhältnis der verschiedenen Klone nachvollziehen: Meist handelte es sich um „Töchter“, die sich durch eine neu hinzugekommene Chromosomenanomalie vom Mutterklon unterschieden. Teilweise hatte sich ein Mutterklon in drei oder mehrere Nachkommenklone aufgesplittet. Jedoch fanden die Forscher auch komplexe Krankheitsbilder, die sich aus einer großen Vielzahl von Tochterklonen mit unterschiedlichen Chromosomenanomalien zusammensetzten.

Die statistische Auswertung ergab, dass das Vorhandensein von Tochterklonen mit einem ungünstigen Verlauf der Erkrankung in Zusammenhang steht. Besonders bei Patienten, die aufgrund bestimmter genetischer Merkmale als Hochrisikogruppe eingestuft werden, ist das Vorhandensein von Tochterklonen ein zusätzlicher, unabhängiger Risikofaktor für einen ungünstigen Verlauf der Erkrankung. Der Nachweis verschiedenartiger Tochterklone ist daher für den Arzt ein eigenständiger prognostischer Faktor, insbesondere bei AML-Patienten, die jünger als 60 Jahre sind.

„Tochterklone auszubilden ist ein Überlebensvorteil für Tumoren“, erklärt Alwin Krämer. „Sie erweitern ihr genetisches Spektrum und steigern damit die Möglichkeit einer Resistenz gegen Chemotherapien.“ Für diese Theorie spricht auch die Beobachtung, dass Patienten mit besonders vielen verschiedenen Tochterklonen eine noch schlechtere Prognose haben als Patienten mit nur wenigen Tochterklonen.

„Gerade diese Patienten profitieren aber von einer Stammzell-Transplantation“, erklärt Krämer. Dieser Behandlung, die auf immunologischen Mechanismen beruht, scheinen Leukämiezellen nicht so leicht durch genetische Diversifizierung entgehen zu können wie einer Chemotherapie.

Die aktuelle große Analyse der AML-Karyotypen bestätigt erstmalig den Zusammenhang zwischen dem Vorliegen von Tochterklonen, also der genetischen Vielfalt des Tumors, und der Prognose einer Krebserkrankung. „Wir gehen aber davon aus, dass dieser Zusammenhang auch bei anderen Krebsarten eine Rolle spielt, bei denen heterogene Karyotypen beschrieben sind.“

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