Dynamik epigenetischer Änderungen im Erbgut
Bioinformatiker der Universität Tübingen identifizieren Entwicklungsmuster der Zellen in riesigen Datenmengen
Die epigenetische Markierung an der DNA besteht aus einer Methylgruppe, einem Kohlenstoffatom, an das drei Wasserstoffatome gebunden sind. Sie können immer dann angehängt werden, wenn in der Basenabfolge der DNA, in der die vier Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin vorkommen, Cytosin und Guanin aufeinander folgen, als sogenannte CpGs. Eine Methylierung verändert die chemischen Eigenschaften der DNA, sodass die Ablesung der Gene darüber fein reguliert werden kann. Bisher wurden häufig nur einzelne Abschnitte des Genoms im Laufe von Entwicklungsprozessen auf ihre Methylierung hin untersucht. Bei ihrem breiten Untersuchungsansatz mit 42 Proben aus 30 verschiedenen Zell- und Gewebetypen des Menschen, in deren Genom flächendeckend die angehängten Methylgruppen kartiert wurden, produzierte das US-Team große Datenmengen: Sie erhielten mehr als 40 Milliarden Lesebereiche der DNA. Gemeinsam mit Oliver Kohlbacher aus Tübingen wurden dann neue mathematische Methoden entwickelt, um in diesem Datenwust die gesuchten CpGs zu identifizieren und ihre Methylierungsmuster festzuhalten.
Die Auswertung ergab mehr als 25 Millionen CpGs in dem Datenbestand. In den meisten Zelltypen sind 70 bis 80 Prozent der CpGs methyliert. Obwohl theoretisch an all diese DNA-Stellen Methylgruppen an- und abgehängt werden können, haben die Forscher festgestellt, dass in der Praxis nur ein kleiner Teil der CpGs den Status wechselt: Nur ein gutes Fünftel der CpGs, 21,8 Prozent, unterlag solchen Änderungen. Von den Genregionen, in denen die Methylierung sich dynamisch änderte, konnten die Wissenschaftler wiederum mehr als 60 Prozent räumlich einem genregulatorischen Element zuordnen. So haben sie die Stellen im menschlichen Genom identifiziert, deren nähere Untersuchung sich zum Beispiel im Hinblick auf die Entstehung von Krankheiten besonders lohnen könnte.
Die Einteilung der untersuchten Proben in verschiedene Zelltypen ergab eine weitere Regelmäßigkeit: Über undifferenzierte menschliche embryonale Stammzellen, die sich noch in alle Zelltypen entwickeln können, die direkten Abkömmlinge dieser Stammzellen, normale Körperzellen bis hin zu solchen Zellen, die durch eine Krebserkrankung verändert waren, nahm die Methylierung der DNA deutlich ab. Die „Merkzettel“ der Methylierung könnten also eine Art Verbotsschilder sein, die bei der Entfernung den Weg zur Ablesung bestimmter Gene frei geben und so der Zelle spezialisierte Eigenschaften verleihen, damit sie als Haut- oder Darmzellen, in der Niere oder den Muskeln bestimmte Aufgaben erfüllen können.