Dynamik epigenetischer Änderungen im Erbgut

Bioinformatiker der Universität Tübingen identifizieren Entwicklungsmuster der Zellen in riesigen Datenmengen

23.08.2013 - Deutschland

Als wäre die Speicherung der genetischen Information und ihrer Nutzungsanweisungen in der DNA der Zellen nicht kompliziert genug, werden zusätzliche Akzente für die Regulierung über die Anheftung chemischer Markierungen gesetzt. So erscheinen zahlreiche Stellen der DNA wie mit einem Merkzettel versehen. Da diese Informationen sozusagen auf der genetischen Information draufsitzen, werden sie auch epigenetisch genannt. Die Markierungen sind so stabil, dass sie vererbt werden können. Allerdings werden einige Zettel während verschiedener Entwicklungsprozesse oder bei der Entstehung von Krankheiten wie Krebs auch neu an-, ab- oder umgeheftet, die Markierungsmuster auf der DNA ändern sich. Der Tübinger Doktorand und Fellow am Harvard Department for Stem Cell and Regenerative Biology (HSCRB) Michael Ziller hat gemeinsam mit seinen Promotionsbetreuern, dem Harvard Professor Alexander Meissner (HSCRB) und dem Tübinger Professor Oliver Kohlbacher vom Wilhelm-Schickard-Institut für Informatik der Universität Tübingen einen Ansatz im großen Stil gewählt, um mehr über die Bedeutung dieser markierten Stellen bei der Genregulation zu erfahren: In 30 verschiedenen Zell- und Gewebetypen des Menschen haben die Forscher die Muster jeweils im gesamten Erbgut, dem Genom, überprüft und analysiert. Über den Einsatz statistischer Methoden haben die Tübinger Wissenschaftler aus den immensen Datenmengen die Bereiche herausgefiltert, in denen sich die Markierungsmuster besonders dynamisch verhalten und so wichtige Anhaltspunkte für tiefergehende Untersuchungen im noch recht jungen Forschungsgebiet der Epigenetik gefunden.

Die epigenetische Markierung an der DNA besteht aus einer Methylgruppe, einem Kohlenstoffatom, an das drei Wasserstoffatome gebunden sind. Sie können immer dann angehängt werden, wenn in der Basenabfolge der DNA, in der die vier Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin vorkommen, Cytosin und Guanin aufeinander folgen, als sogenannte CpGs. Eine Methylierung verändert die chemischen Eigenschaften der DNA, sodass die Ablesung der Gene darüber fein reguliert werden kann. Bisher wurden häufig nur einzelne Abschnitte des Genoms im Laufe von Entwicklungsprozessen auf ihre Methylierung hin untersucht. Bei ihrem breiten Untersuchungsansatz mit 42 Proben aus 30 verschiedenen Zell- und Gewebetypen des Menschen, in deren Genom flächendeckend die angehängten Methylgruppen kartiert wurden, produzierte das US-Team große Datenmengen: Sie erhielten mehr als 40 Milliarden Lesebereiche der DNA. Gemeinsam mit Oliver Kohlbacher aus Tübingen wurden dann neue mathematische Methoden entwickelt, um in diesem Datenwust die gesuchten CpGs zu identifizieren und ihre Methylierungsmuster festzuhalten.

Die Auswertung ergab mehr als 25 Millionen CpGs in dem Datenbestand. In den meisten Zelltypen sind 70 bis 80 Prozent der CpGs methyliert. Obwohl theoretisch an all diese DNA-Stellen Methylgruppen an- und abgehängt werden können, haben die Forscher festgestellt, dass in der Praxis nur ein kleiner Teil der CpGs den Status wechselt: Nur ein gutes Fünftel der CpGs, 21,8 Prozent, unterlag solchen Änderungen. Von den Genregionen, in denen die Methylierung sich dynamisch änderte, konnten die Wissenschaftler wiederum mehr als 60 Prozent räumlich einem genregulatorischen Element zuordnen. So haben sie die Stellen im menschlichen Genom identifiziert, deren nähere Untersuchung sich zum Beispiel im Hinblick auf die Entstehung von Krankheiten besonders lohnen könnte.

Die Einteilung der untersuchten Proben in verschiedene Zelltypen ergab eine weitere Regelmäßigkeit: Über undifferenzierte menschliche embryonale Stammzellen, die sich noch in alle Zelltypen entwickeln können, die direkten Abkömmlinge dieser Stammzellen, normale Körperzellen bis hin zu solchen Zellen, die durch eine Krebserkrankung verändert waren, nahm die Methylierung der DNA deutlich ab. Die „Merkzettel“ der Methylierung könnten also eine Art Verbotsschilder sein, die bei der Entfernung den Weg zur Ablesung bestimmter Gene frei geben und so der Zelle spezialisierte Eigenschaften verleihen, damit sie als Haut- oder Darmzellen, in der Niere oder den Muskeln bestimmte Aufgaben erfüllen können.

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