Molekularer Affe fädelt die Aktivierung von X-Chromosomen ein
Protein verbiegt die RNA, damit aktivierende Faktoren daran binden können
© MPI f. Immunbiologie und Epigenetik/Ibrahim Ilik, Tugce Aktas
Noch vor wenigen Jahren wurden sie als genetischer Müll abgetan: DNA-Bereiche, die nicht in Proteine übersetzt werden. Doch diese Ansicht hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Heute ist es unter Wissenschaftlern anerkannt, dass große Teile des Erbguts in RNA übersetzt werden. Diese wiederum kann als Genregulator wirken oder als Strukturelement. Auch bei der Regulation der X-Chromosomen spielt RNA eine zentrale Rolle. Sowohl bei Frauen als auch bei Fliegenmännchen ist das X-Chromosom von einem Komplex aus RNA und Proteinen umhüllt. Bei Menschen führt das zu einer Stilllegung des Chromosoms, während es bei Fliegen zu einer verdoppelten Aktivität des Chromosoms führt. Fehlregulationen sind dabei schnell tödlich. Obwohl die beteiligten Proteine und die RNA schon lange bekannt waren, blieb deren Wechselwirkung bislang rätselhaft.
Asifa Akhtar vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik und ihr Team entschlüsselten jetzt die Funktion der RNA und die Wechselwirkung der Proteine. Das Protein MLE, zentral in der X-Chromosom-Aktivierung, bindet an die RNA auf ganz besondere Weise. Wie ein Affe, der die Liane mit Händen und Füßen fasst, greift das Protein MLE die RNA auf zwei verschiedene Arten. Eine Seite dient als einfacher Anker (Füße), während die andere (Hände) die RNA verbiegen kann. „MLE formt die RNA. Das erlaubt dem Protein an die RNA ganz dynamisch zu binden“, sagt Laborleiterin Asifa Akhtar. Dadurch kann MLE anderen Proteinen helfen, an den RNA-Strang zu binden. So kann das gesamte X-Chromosom mit einem RNA-Protein-Komplex umgeben sein.
Erstautor Ibrahim Ilik hat sich während seiner Doktorarbeit mit der Frage beschäftigt, warum MLE am gleichen Ort wie alle anderen beteiligten Proteine zu finden ist, aber nicht direkt mit ihnen interagiert. „ Die biochemischen und biologischen Ergebnisse schienen zu Beginn in komplett unterschiedliche Richtungen zu zeigen“, sagt Ilik. „Es war ein sehr aufregender Moment, als wir erkannten, dass die Proteine hoch-spezifisch an bestimmte Bereiche der langen RNA binden.“
Die Forscher fanden zudem heraus, dass einzelne RNA-Mutationen die Verbindung mit den Proteinen kaum störte. Nur eine Vielzahl von Mutationen führte zu einer funktionslosen RNA und damit zum Tod der männlichen Fliegen. „Das System ist sehr widerstandsfähig für evolutionäre Einflüsse. Das zeigt, wie wichtig es für das Überleben der Tiere ist. Die RNA könnte dabei für die notwendige Flexibilität sorgen“, sagt Akthar. Als nächstes möchten die Wissenschaftler untersuchen, inwiefern die RNA-Protein-Verbindung im Laufe der Evolution stabil geblieben ist und wie sich sein Pendant bei Säugetieren verhält.