Ein Ionenkanal, viele Krankheiten
Calciumkanal im Kleinhirn als Auslöser für Bewegungsstörungen und Epilepsien
Mutationen des P/Q-Typ-Kanals können eine Reihe von Krankheiten auslösen
„Eine der größten Herausforderungen in der neurobiologischen Erforschung von Hirnkrankheiten ist, die neuronalen Schaltkreise oder Zelltypen zu identifizieren, in denen die Ursache für die Krankheiten sitzt“, sagt Melanie Mark. Die Bochumer Wissenschaftler wollten diese Frage für bestimmte Bewegungsstörungen klären, die durch eine fehlerhafte Funktion des Kleinhirns zustande kommen. Genauer gesagt untersuchten sie die möglichen Ursachen von motorischen Koordinationsstörungen, Ataxien genannt, und Störungen des Bewegungsablaufs, den sogenannten Dyskinesien. In einer Studie aus dem Jahr 2011 zeigten die Forscher, dass ein bestimmter Typ von Calciumkanälen, der P/Q-Typ, in den Nervenzellen des Kleinhirns Ursprung dieser Krankheiten sein kann. Der Kanal kommt im gesamten Gehirn vor, und Mutationen in ihm können Migräne, verschiedene Epilepsieformen, Dyskinesien und Ataxien bei Menschen bewirken.
Gestörter Kleinhirn-Output reicht aus
„2011 haben wir überraschend herausgefunden, dass ein Verlust von P/Q-Typ-Kanälen, speziell in den Purkinjezellen, dem einzigen Output des Kleinhirnkortex, nicht nur Ataxien und Dyskinesien zur Folge hat, sondern auch eine Krankheit, die vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen auftritt, die Absencen“, so Dr. Mark. Das Forscherteam stellte daraufhin die Hypothese auf, dass ein Defekt in den Ausgangssignalen des Kleinhirns ausreicht, um verschiedene Krankheiten auszulösen, die mit dem P/Q-Kanal in Zusammenhang stehen. Mit anderen Worten: Mutationen des P/Q-Kanals im Kleinhirn können verheerende Folgen haben, selbst wenn die P/Q-Kanäle im restlichen Gehirn intakt sind.
Störung der Eingangssignale hat ähnliche Effekte wie Störung der Ausgangssignale
Für diese Hypothese fand Marks Team nun weitere Hinweise. In der aktuellen Studie störten die Biologen jedoch nicht wie zuvor die Ausgangssignale des Kleinhirns, also die Purkinjezellen, sondern die Eingangssignale. Die Purkinjezellen erhalten modulierenden Input von anderen Neuronen, unter anderem den Körnerzellen. „Diese modulierenden Signale sind wichtig für eine reibungslose Kommunikation zwischen den Nervenzellen des Kleinhirns“, erklärt Melanie Mark. In Mäusen störten die Forscher die Eingangssignale, indem sie durch genetische Manipulation die P/Q-Typ-Kanäle in den Körnerzellen ausschalteten. Das führte zu Ataxien, Dyskinesien und Absencen – genau wie die Manipulation der Ausgangssignale in der früheren Studie. „Die Ergebnisse liefern neue Hinweise, dass das Kleinhirn in den Beginn und/oder Fortlauf von neurologischen Störungen involviert ist“, fasst Mark zusammen. „Wir haben nun auch ein Tiermodell, mit dem wir herausfinden können, welche Signalwege und Moleküle im Kleinhirn die Ursachen für die Krankheiten beim Menschen sind.“