Fastenzeit für Tumorzellen
Wissenschaftler schneiden Krebszellen die Nahrungszufuhr ab
© MPI für neurologische Forschung
Bevor Tumorzellen sich unkontrolliert teilen, verharren sie oft in einer Art Ruhezustand. Dabei sterben etwa immer genauso viele Zellen ab wie sich neubilden. Erst eine Veränderung im Erbgut führt dazu, dass Botenstoffe gebildet werden, die das Wachstum von Blutgefäßen anregen. Erst dann kann der Tumor anfangen zu wachsen. Ohne diesen Übergang vom ruhenden in den aktiven Zustand wäre das Wachstum der Krebszellen auf eine für den Körper ungefährliche Größe beschränkt.
Wissenschaftler am Max-Planck Institut für neurologische Forschung wollen dies als Angriffspunkt in der Tumortherapie nutzen. Dafür haben sie die Wirkung von VEGF untersucht, das Blutgefäße auswachsen lässt. Den Wissenschaftlern um Roland Ullrich zufolge wirkt VEGF auch direkt auf die ausschüttenden Tumorzellen ein. Diese nehmen es wieder über Rezeptoren auf und produzieren so noch mehr VEGF. „Diese positive Rückkopplungsschleife sorgt dafür, dass sich immer mehr Blutgefäße ausbilden und der Krebs dadurch noch schneller wächst“, erklärt Ullrich. „Wir wollten deshalb herausfinden, was passiert wenn wir sie unterbrechen.“ Die Idee der Wissenschaftler: Den Krebs von der Nährstoffzufuhr abzuschneiden – ihn einfach auszuhungern. Ullrich vergleicht den Kampf gegen den Krebs mit der Belagerung einer Festung: „Man muss die Burg nicht unbedingt erstürmen, um den Gegner zu bezwingen. Es genügt, den Wasserhahn zuzudrehen.“
Im zweiten Teil ihrer Studie untersuchten sie deshalb Mäuse die eine bestimmte Form von Lungenkrebs aufwiesen und blockierten den VEGF-Rezeptor 2. „Und tatsächlich stellten wir bei den Tieren eine Verlangsamung des Krebswachstums fest“, sagt Ullrich. „Noch beeindruckender war das Ergebnis, wenn wir einen weiteren Hemmer hinzugaben.“ Dieser stört den sogenannten MAPK-Signalweg, der unter anderem das Wachstum der Tumorzellen antreibt. Einzeln gegeben zögerten die beiden Inhibitoren das Krebswachstum nur hinaus, in Kombination allerdings ließen sie den Krebs tatsächlich schrumpfen. Die Wissenschaftler vermuten deshalb, dass es einen Zusammenhang zwischen der Hemmung des VEGF-Rezeptor 2 und dem MAPK-Signalweg gibt. „Wird den Zellen die Nährstoffzufuhr abgeschnitten, fangen diese einfach an stärker zu wachsen“, erklärt Ullrich. „Und das können wir mit Hilfe des zweiten Hemmers verhindern.“
Doch nicht alle Krebstypen sind für eine solche Behandlung geeignet. Denn nur wenn die Krebszellen auch die Rezeptoren für VEGF auf ihrer Membran ausbilden, können die Hemmstoffe überhaupt wirksam werden. Den Ergebnissen der Kölner Wissenschaftler zufolge besitzt etwa jeder fünfte Lungenkrebspatient VEGF-Rezeptoren-2 auf den Krebszellen und könnte folglich auf diese Weise behandelt werden.