So bleibt das Gehirn aufnahmefähig

RUB-Forscher untersuchen Rolle von Kanalprotein beim Lernen

11.01.2013 - Deutschland

Das Kanalprotein Pannexin1 hält Nervenzellen flexibel und somit das Gehirn aufnahmefähig für neues Wissen. Gemeinsam mit Kollegen aus Kanada und Amerika beschreiben Forscher der Ruhr-Universität Bochum um Juniorprofessorin Dr. Nora Prochnow aus der Abteilung für Molekulare Hirnforschung diese Ergebnisse. Mäuse, die in gedächtnisrelevanten Hirnstrukturen kein Pannexin1 besaßen, zeigten in der Studie Autismus-ähnliche Symptome. Ihren Nervenzellen fehlte es an synaptischer Plastizität, also an der Fähigkeit nutzungsabhängig neue Kontakte zu knüpfen bzw. alte Kontakte aufzugeben.

© Nora Prochnow

Die blauen Kurven zeigen die Langzeitpotenzierung bei Mäusen mit (links) und ohne Pannexin1 (rechts). Gehirne von Tieren ohne das Kanalprotein reagieren auf kleine Reize besonders empfindlich, wie der große Unterschied zwischen hell- und dunkelblauer Kurve zeigt. Die Daten basieren auf Originalmessungen der Studie.

Pannexine sind zahlreich im zentralen Nervensystem von Wirbeltieren

Pannexine durchspannen die Zellmembran von Wirbeltieren und bilden besonders großporige Kanäle. Sie sind durchlässig für bestimmte Signalstoffe, etwa das Energiespeichermolekül ATP (Adenosintriphosphat). Der bekannteste Vertreter ist Pannexin1, das zahlreich in Gehirn und Rückenmark vorkommt, unter anderem im Hippocampus - einer Gehirnstruktur, die entscheidend für das Langzeitgedächtnis ist. Fehlfunktionen der Pannexine spielen bei der Entstehung von Epilepsien und Schlaganfällen eine Rolle.

Kein Spielraum mehr bei der Langzeitpotenzierung

Das Forscherteam untersuchte Mäuse, denen das Gen für Pannexin1 fehlte. Mit Zellableitungen an Hirnschnitten analysierten sie die Langzeitpotenzierung im Hippocampus. Üblicherweise kommt es zur Langzeitpotenzierung, wenn sich neue Gedächtnisinhalte bilden - die Kontakte zwischen den Nervenzellen werden gestärkt, sie kommunizieren vermehrt miteinander. Bei Mäusen ohne Pannexin1 setzte die Langzeitpotenzierung früher ein und war andauernder als bei Mäusen mit Pannexin1.

"Das sieht auf den ersten Blick wie ein Zugewinn an Langzeitgedächtnis aus", sagt Nora Prochnow. "Aber die genaue Analyse zeigt, dass es keinen Spielraum mehr nach oben gab." Durch das Fehlen von Pannexin1 war die Zellkommunikation generell so sehr verstärkt, dass eine weitere Verstärkung durch Lernen neuen Wissens nicht mehr möglich war. Die synaptische Plastizität war also stark eingeschränkt. "Die Plastizität ist essenziell für Lernprozesse im Gehirn", erklärt Nora Prochnow. "Sie hilft, Inhalte zu sortieren, zu behalten oder auch im positiven Sinne zu vergessen, um Platz für neue Inhalte zu schaffen."

Autismus-ähnliches Verhalten ohne Pannexin1

Das Fehlen von Pannexin1 wirkte sich auch auf das Verhalten aus: Beim Lösen einfacher Probleme waren die Tiere schnell inhaltlich überfordert, ihre räumliche Orientierung war eingeschränkt, die Aufmerksamkeit gestört und es konnte zu epileptischen Anfällen kommen. "Die Verhaltensmuster erinnern an Autismus. Wir sollten den Pannexin1-Kanal also auch im Hinblick auf die Therapie solcher Erkrankungen genauer in Betracht ziehen", sagt die Bochumer Neurobiologin.

Theorie: Feedback-Regulation läuft ohne Pannexin1 aus dem Rude

Laut Theorie der Wissenschaftler mangelt es den Nervenzellen ohne Pannexin1 an einem Feedback-Mechanismus. Normalerweise setzt das Kanalprotein ATP frei, welches an spezielle Rezeptoren andockt und so die Ausschüttung des Botenstoffes Glutamat mindert. Ohne Pannexin1 wird vermehrt Glutamat ausgeschüttet, was zu einer starken Langzeitpotenzierung führt. Dadurch gerät die Zelle aus dem dynamischen Gleichgewicht, das sie für effiziente Lernprozesse braucht.

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