Sex oder Tod – wie sich eine Kieselalge vor dem Kollaps rettet
Forscher aus Jena und Gent isolieren und charakterisieren Sexualpheromon von Kieselalgen
Jan-Peter Kasper/FSU
Bislang gab es nur indirekte Hinweise, dass bei bestimmten Kieselalgen-Arten Pheromone als Regulatoren bei der Paarung beteiligt sind. Die chemische Struktur dieser Signalmoleküle war nicht bekannt. Das Team von den Universitäten Gent und Jena hat nun die Rolle solcher Botenstoffe bei der Alge „Seminavis robusta“ erforscht.
Wenn die kritische Zellgröße bei S. robusta erreicht ist, differenzieren sich zwei sexuelle Zelltypen, als + und - bezeichnet. Anschließend sammeln sich Zellen des beweglichen +Typs um eine anlockende -Zelle. Das Team um Georg Pohnert, Marnik Vuylsteke und Wim Vyverman konnte belegen, dass beide Paarungstypen tatsächlich chemische Signale produzieren, die das Paarungsverhalten des jeweiligen Partners aktivieren. Dazu extrahierten die Forscher das Kulturmedium der sexuell aktiven Algen und nutzten das Extraktionsmaterial als Pheromonquelle.
Es zeigte sich, dass die Algen eigentlich träge sind. Erst wenn chemische Botenstoffe anwesend sind, beginnt die sexuelle Bereitschaft beider Zelltypen überhaupt. So setzen -Zellen Stoffe frei, die die Beweglichkeit der +Zellen stark erhöhen. Und +Zellen setzen Stoffe frei, die -Zellen paarungsbereit machen und dazu anregen, das eigentliche Lockpheromon abzusondern. Beide Paarungstypen nutzen also Signalstoffe, um sich der Anwesenheit eines reifen Sexualpartners zu versichern, bevor sie selbst in die sexuelle Antwortreaktion investieren. „Dies erhöht die Chancen einer erfolgreichen sexuellen Vermehrung“, verweist der Jenaer Chemiker Pohnert auf die Effizienz des Prozesses.
Anhand eines Vergleichs der in verschiedenen Phasen des Vermehrungszyklus ausgeschiedenen Stoffwechselprodukte fanden die Forscher den Lockstoff der -Zellen. Sie isolierten und identifizierten ihn als „Diprolin“. Ausgehend von der Aminosäure Prolin synthetisierten sie den Stoff und bestimmten dessen absolute Konfiguration.
Diprolin ist bisher noch nicht als Pheromon beschrieben, wurde aber in höheren Pflanzen und Pilzen bereits nachgewiesen, wo ihm antibakterielle Aktivität zugeschrieben wird. „Es bleibt nun zu erforschen“, sagt Prof. Pohnert, „inwieweit diese neue ,Lockchemie‘ dazu genutzt werden kann, das Wachstum von Algen in Aquakulturen zu unterstützen oder auch lästige Biofilme der Algen zu kontrollieren.“
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