Wertvoller „Beifang“ der Wirkstoff-Sucher: Das von Bakterien gebildete Eliamid hemmt Tumorzellen
Manche Infektionskrankheiten verursachen als Spätfolge Krebs. So ist zum Beispiel das Hepatitis B-Virus ein häufiger Auslöser von Leberkrebs. Die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Viren wie dem Humanen Papillomavirus und der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs wurde im Jahr 2008 mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie gewürdigt. Und obwohl Impfungen wirksam vor diesen beiden Erregern und ihren Folgen schützen können, besteht nach wie vor der Bedarf an Wirkstoffen gegen diese und andere Krebsformen. Das jetzt beschriebene Eliamid ist genau dafür ein potentieller Kandidat: Bei der Untersuchung der biologischen Aktivität fiel es durch seine wachstumshemmende Wirkung gegen verschiedene Krebszelllinien auf. Bereits in den 1980er Jahren entdeckten Wissenschaftler in Braunschweig mit Epothilon einen Sekundärstoff aus Bakterien, der in der Zwischenzeit zu einem Mittel gegen Brustkrebs weiterentwickelt wurde und seit 2007 in den USA auf dem Markt ist.
Das im Erdreich vorkommende Bakterium Sorangium cellulosum gehört zur Ordnung der Myxobakterien. Myxobakterien produzieren eine Vielzahl von sogenannten Sekundärmetaboliten. Das sind Stoffe, die für die Bakterien nicht direkt lebensnotwendig sind, ihnen aber mitunter einen Vorteil gegenüber konkurrierenden Arten in ihrem Lebensraum verschaffen. Deshalb haben einige dieser Substanzen einen antibiotischen Effekt, andere sind für die Tumor-Therapie geeignet. Mit der Suche nach solchen medizinisch nutzbaren Stoffen befasst sich eine Reihe von Wissenschaftlern am HZI.
Dabei entdeckten Evgeny Prusov und seine Kollegen die möglicherweise krebshemmende Wirkung von Eliamid quasi „nebenbei“: „Eigentlich waren wir auf der Suche nach neuen Wirkstoffen gegen Pilzinfektionen“, sagt Dr. Klaus Gerth, einer der Ko-Autoren der Studie aus der Arbeitsgruppe „Mikrobielle Wirkstoffe“. „Eliamid fanden wir bei der Analyse von zwei Sorangium cellulosum-Stämmmen, die Substanzen gegen Pilze produzieren.“ Bei der genaueren Charakterisierung des Naturstoffes zeigte sich aber: Eliamid hemmt die Vermehrung von Zellen von Gebärmutterhalskrebs und auch von Lymphknotengeschwüren im Reagenzglas, weist dabei aber nur eine vergleichsweise geringe Toxizität auf. Und so wie ein Fischer wertvollen Beifang in der Regel auch nicht wieder ins Meer zurück wirft, erkennen die Forscher den Wert dieses „Nebenproduktes“ ihrer Naturstoffforschung.
Bevor Eliamid möglicherweise Krebspatienten helfen kann, wird es noch etliche Jahre dauern. Beim Epothilon vergingen von der Entdeckung bis zur Marktreife zwei Jahrzehnte. „Die Weiterentwicklung eines Naturstoffes zu einem Medikament ist langwierig“, sagt Prusov. „Wir wollen zunächst selbst mit Eliamid weiterarbeiten und Derivate herstellen“. Das sind leicht abgewandelte Varianten, die eine verbesserte Wirkung haben könnten. Die weiteren Schritte zu einem ausgereiften Medikament würde dann ein pharmazeutisches Unternehmen bestreiten, für ein Forschungsinstitut ist dies zu aufwändig und zu kostspielig. Aber Evgeny Prusov ist zuversichtlich: „Wenn das von uns beschriebene Eliamid einmal kranken Menschen helfen könnte, wäre das ein besonderer Erfolg unserer Forschung.“
Originalveröffentlichung
Gerhard Höfle, Klaus Gerth, Hans Reichenbach, Brigitte Kunze, Florenz Sasse, Edgar Forche & Evgeny V. Prusov; Isolation, Biological Activity Evaluation, Structure Elucidation, and Total Synthesis of Eliamid: A Novel Complex I Inhibitor; Chem. Eur. J. 36/2012