Schadstofftransport in der Pilz-Pipeline

30.07.2012 - Deutschland

Pilze durchziehen das Erdreich mit riesigen Geflechten aus feinen Fäden. Diese Netzwerke aber haben überraschende Funktionen. Schon vor ein paar Jahren haben Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) herausgefunden, dass Bakterien auf den Pilzfäden wie auf Autobahnen durch das Labyrinth der Bodenporen reisen. Nun sind die UFZ-Mitarbeiter gemeinsam mit britischen Kollegen von der Lancaster University einem weiteren Phänomen auf die Spur gekommen. Demnach transportieren die Pilzgeflechte auch Schadstoffe, die im Boden sonst kaum beweglich sind.

Susan Foß/UFZ

Mikroskopische Aufnahme des Myzel-bildenden Boden Mikroorganimus Pythium ultimum welcher Phenanthren in seinem Zellinnern transportiert: Overlay eines Durchlicht- und Fluoreszenzbildes von Pythium ultimum, dessen Hyphen Phenanthren-angereicherte Vesikel (in blau) enthalten (Balkenlänge: 5 Micrometer).

Susan Foß/UFZ

Mikroskopische Aufnahme des Myzel-bildenden Boden Mikroorganimus Pythium ultimum welcher Phenanthren in seinem Zellinnern transportiert: Overlay eines Durchlicht- und Fluoreszenzbildes von Pythium ultimum, dessen Hyphen Phenanthren-angereicherte Vesikel (in blau) enthalten (Balkenlänge: 5 Micrometer).

Susan Foß/UFZ
Susan Foß/UFZ

Damit können diese lebenden Pipelines vielleicht einen Beitrag zur Sanierung belasteter Böden leisten, schreiben die Forscher im Fachjournal Environmental Science & Technology.

Manche Bakterien entwickeln einen ungeheuren Appetit auf Schadstoffe. Sie ernähren sich von giftigen Chemikalien und wandeln diese dabei in harmlosere Substanzen um. Das macht sie zu wertvollen Verbündeten bei der Beseitigung von verschiedenen Umweltverschmutzungen. Bestimmte Bodenmikroben sind zum Beispiel durchaus in der Lage, belastetes Erdreich auf natürlichem Weg wieder zu sanieren. Theoretisch zumindest. In der Praxis aber stoßen die winzigen Helfer häufig an ihre Grenzen. „Das Problem ist, dass sie die Schadstoffe oft gar nicht erreichen“, erläutert UFZ-Mitarbeiter Lukas Y. Wick, der die neue Studie geleitet hat.

Schwierigkeiten haben die Bakterien oft mit Substanzen, die nur schlecht wasserlöslich sind. Dazu gehören zum Beispiel die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), die in Erdöl und Kohle vorkommen und bei praktisch allen Verbrennungsprozessen freiwerden. An vielbefahrenen Straßen kann der Boden ebenso mit diesen Verbindungen belastet sein wie in der Umgebung von Flughäfen oder an alten Gaswerkstandorten. Da viele PAK als krebserregend gelten, wäre die Hilfe von Bakterien beim Abbau dieser Belastungen hoch willkommen.

Doch in dem komplizierten Labyrinth aus wasser- und luftgefüllten Poren, das sich durch das Erdreich zieht, finden Bakterien und PAK nur schwer zusammen. Denn die Mikroorganismen halten sich nur im Wasser und in dünnen Flüssigkeitsfilmen auf. „Die in Wasser kaum löslichen PAKs heften sich dagegen oft an Bodenpartikel oder sammeln sich in winzigen, luftgefüllten Poren“, erläutert Lukas Y. Wick. Dort aber kommen die Bakterien nicht hin. Zwischen ihnen und ihren Nahrungsquellen liegen Barrieren aus Luft.

Ein lebendes Netzwerk

Es gibt allerdings Bodenbewohner, die solche Grenzen sehr effektiv überwinden können. Dazu gehören Pilze und eine Gruppe ähnlicher Organismen, die Biologen auch als „Pseudopilze“ bezeichnen. Beide können sowohl im Wasser als auch in der Luft wachsen und durchziehen das Erdreich mit einem Geflecht aus feinen Fäden. Diese sogenannten Hyphen sind jede für sich zwar nur wenige Tausendstel Millimeter dick. Doch zusammen bilden sie ein Netzwerk von gewaltigen Dimensionen. In einem einzigen Gramm Boden finden sich mitunter zwischen 1000 und 10000 Meter Pilzfäden. Ein einziges dieser Geflechte kann sich über etliche Quadratkilometer erstrecken. Damit sind Pilze die größten Lebewesen, die es heute auf der Erde gibt.
Bakterien wissen die Infrastruktur dieser riesigen Nachbarn durchaus zu nutzen, haben Lukas Y. Wick und seine Kollegen bereits in einer früheren Studie herausgefunden. Das Pilzgeflecht scheint eine Art Autobahnnetz zu sein, auf dem die Mikroorganismen effektiv reisen und sich ausbreiten können. Dazu bewegen sie sich an der Oberfläche der Hyphen fort und überwinden auf diese Weise problemlos die Luftbarrieren zwischen zwei wassergefüllten Poren.

Doch vielleicht schafft das Pilzgeflecht ja nicht nur für Bakterien, sondern auch für Schadstoffe gute Reisemöglichkeiten? Immerhin ist bekannt, dass die Hyphen in ihrem Inneren Nährstoffe transportieren, die der Pilz zum Überleben braucht. Warum sollte das nicht auch mit anderen Substanzen funktionieren? Diesem Verdacht sind die UFZ-Forscher nun gemeinsam mit Kollegen von der Lancaster University nachgegangen.

Für ihre Versuche haben die Forscher einen Pseudopilz namens Pythium ultimum verwendet, der im Boden weit verbreitet ist. Den haben sie auf einem zentralen Plättchen mit Nährstoffen angesiedelt, von dem aus er seine Hyphen nach rechts und links zu zwei weiteren Nährstoffquellen ausstrecken konnte. Verbunden waren die drei Imbiss-Stationen durch Rechtecke aus einem Nährstoff-freien Material. Allerdings klafften zwischen Nährstoff-Plättchen und Rechtecken mehrere Lücken, die nichts als Luft enthielten. Diese sollten die luftgefüllten Poren im Boden simulieren.
Am Rand eines Rechtecks haben die UFZ-Mitarbeiter nun einen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoff namens Phenanthren aufgetragen. Dann haben sie in regelmäßigen Abständen untersucht, ob sich diese Substanz auch in anderen Bereichen der Teststrecke nachweisen ließ. „Die Ergebnisse waren verblüffend“, sagt Lukas Y. Wick. Innerhalb weniger Stunden war der Kohlenwasserstoff von einem Ende der Versuchsanordnung zum anderen gewandert - zehn- bis hundertmal schneller, als er das durch einfache Diffusion hätte schaffen können. Und er hatte dabei ohne Schwierigkeiten die Luftspalten überwunden, was ihm auf der gleichen Strecke ohne Pilzgeflecht nicht gelang. „Die Hyphen-Netzwerke sind also nicht nur Autobahnen für Bakterien, sondern auch Pipelines für Schadstoffe“, resümiert Lukas Y. Wick. „Pro Stunde kann dabei eine einzelne Hyphe bis zum 600-fachen Gewicht eines einzelnen Bakteriums transportieren“.

Mit einem Spezialmikroskop der britischen Kollegen ließ sich sogar beobachten, wie dieser Transport vor sich geht. Demnach wandert der Schadstoff durch die Zellwand ins Innere der Hyphen. Dort wird er in kleinen Bläschen eingeschlossen, die Pythium ultimum dann aktiv durch sein weitläufiges Netzwerk pumpt.

Schadstoffe in Bewegung

Auf diese Weise mobilisiert die Pilz-Pipeline nicht nur Phenanthren, sondern auch andere schlecht wasserlösliche und damit eher unbewegliche Substanzen. Die Forscher haben den Versuch mit etlichen verschiedenen PAK wiederholt und alle machten sich auf die Reise. Über längere Strecken klappte der Transport bei kleinen Molekülen allerdings besser als bei großen. „Vermutlich werden letztere nicht so gut in die Hyphen aufgenommen“, meint Lukas Y. Wick.

Selbst die großen Strecken bestanden in dem Versuch allerdings nur aus ein paar Zentimetern. Das klingt zwar nicht viel, könnte aber für einen besseren Kontakt zwischen Schadstoffen und ihren Zersetzern entscheidend sein. Denn die winzigen Luftbarrieren zwischen den wassergefüllten Bodenporen überwindet die Pilz-Pipeline mühelos.

Die Forscher hoffen, dass sich der Effekt künftig bei der Sanierung von belasteten Böden nutzen lässt. Ein gezielter Einsatz von Pilzgeflechten könnte den Abbau von PAK und vielleicht auch von anderen wasserunlöslichen Schadstoffen beschleunigen. „Das wird allerdings nur klappen, wenn man die richtigen Pilze und Bakterien kombiniert“, erläutert Lukas Y. Wick. Manche Arten dieser Organismen kommen einfach nicht miteinander aus oder hemmen sich sogar gegenseitig. Deshalb fahnden die UFZ-Forscher nun nach den passenden Partnern für ihr mikrobielles Schadstoffbeseitiger-Team.

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