Amokläufer-Zellen erhalten Befehl zum Selbstmord

15.06.2012 - Deutschland

Wenn das Abwehrsystem sich gegen den eigenen Körper richtet, kommt es zu schwerwiegenden Autoimmunerkrankungen. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Bonn haben jetzt einen Weg gefunden, wie sich Abwehrzellen aktivieren lassen, die die Amok laufenden Immunzellen in den Selbstmord treiben.

Bei Autoimmunerkrankungen richtet sich das Abwehrsystem, das normalerweise Bakterien oder Viren als Eindringlinge bekämpft, gegen den eigenen Körper. Dies ist zum Beispiel bei rheumatischen Erkrankungen, Schilddrüsenfehlfunktionen oder Nierenentzündungen der Fall. „Diese Krankheiten werden durch so genannte Autoantikörper ausgelöst, die körpereigenes Gewebe angreifen“, berichtet Prof. Dr. med. Christian Kurts, Leiter des Instituts für Experimentelle Immunologie des Universitätsklinikums Bonn. Diese Autoantikörper werden durch B-Lymphozyten produziert, die zu den weißen Blutkörperchen gehören.

Körpereigene Qualitätskontrolle versagt

Normalerweise achtet die körpereigene Qualitätskontrolle streng darauf, dass die Bildung von Autoantikörpern unterdrückt wird. Doch die Amokläufer B-Lymphozyten sind irgendwie dieser Selbstkontrolle des Immunsystems entkommen. Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren Therapien entwickelt, bei denen alle B-Lymphozyten zerstört werden – die Attacke der Immunzellen auf den eigenen Körper wird damit unterbunden. Der große Nachteil dieser Therapie ist jedoch, dass hierbei auch diejenigen B-Lymphozyten gehemmt werden, die zum Schutz vor Krankheitserregern nützliche Antikörper produzieren. In der Folge kommt es zu vermehrten Infekten mit Viren und Bakterien sowie zum Versagen des Impfschutzes. „Aus diesem Grund ist es ein seit langem angestrebtes Ziel, Immuntherapien zu entwickeln, bei denen lediglich die den Körper angreifenden Zellen, nicht jedoch nützliche B-Lymphozyten unterdrückt werden“, sagt Dr. Isis Ludwig-Portugall.

Regulatorische T-Lymphozyten sind Hoffnungsträger

In diesem Zusammenhang stellen sogenannte „regulatorische T-Lymphozyten“ eine große Hoffnung für solche spezifischen Immuntherapien dar, weil sie die Bildung der den Körper angreifenden B-Lymphozyten gezielt unterdrücken können. „Bislang war nur bekannt, dass regulatorische T-Lymphozyten andere T-Lymphozyten unterdrücken“, berichten die Bonner Immunologen. Bei den T-Lymphozyten handelt es sich um Abwehrzellen, die wie Polizisten im Körper auf Streife gehen und nach schädlichen Zellen suchen. Sogenannte T-Killerzellen zerstören dann quasi als Hilfspolizisten die kranken Zellen direkt, andere rufen zusätzliche Immunzellen um Hilfe.

Zwei Moleküle lösen Selbstmordbefehl aus

Vor einigen Jahren haben Wissenschaftler um Dr. Isis Ludwig Portugall und den diesjährigen Leibniz-Preisträger Prof. Dr. Christian Kurts am Institut für experimentelle Immunologie des Universitätsklinikums Bonn jedoch zeigen können, dass regulatorische T-Lymphozyten auch Amok laufende B-Lymphozyten unterdrücken. Nun haben die Wissenschaftler in einer Folgestudie entschlüsselt, wie dies genau funktioniert: Die regulatorischen T-Lymphozyten haben auf ihrer Oberfläche zwei Moleküle namens „PDL-1“ und „PDL-2“, die bislang nur auf anderen Immunzellen nachgewiesen waren. Diese Moleküle binden an die Oberfläche von fehlgeleiteten B-Lymphozyten, die die Autoantikörper produzieren. Durch das Andocken der Moleküle wird eine Signalkette ausgelöst, die am Ende in den Amok laufenden Zellen ein Selbstmordprogramm auslöst und sie in den Tod treibt. Die nützlichen B-Lymphozyten bleiben dagegen unbehelligt. „Die regulatorischen T-Lymphozyten besitzen die Eigenschaft, die schädlichen von nützlichen B-Lymphozyten unterscheiden zu können“, sagt Diplom-Biologin Janine Gotot, die einen großen Teil der Studie an Mäusen und Zellkulturen in ihrer Promotionsarbeit durchgeführt hat.

Hoffnung auf neue Therapien

Die Wissenschaftler hoffen nun, dass diese Entdeckung es ermöglichen könnte, regulatorische T-Zellen und das PD-1-Molekül zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen zu nutzen. Theoretisch könnte dieser Mechanismus auch eingesetzt werden, um etwa Lymphdrüsenkrebs zu behandeln oder um Impfungen gegen Tumoren zu verbessern.

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