Die tödlichen Waffen der Quallen entschlüsselt
Heidelberger Wissenschaftler analysieren Proteine der Nesselzellen im Süßwasserpolypen Hydra
Heidelberger Wissenschaftlern ist es gelungen, den Verteidigungsmechanismus von Quallen zu entschlüsseln. Forscher um Prof. Dr. Thomas Holstein und Privatdozent Dr. Suat Özbek vom Centre for Organismal Studies (COS) der Ruperto Carola haben in Zusammenarbeit mit Kollegen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) das Proteom, also die Gesamtheit der Proteine, der sogenannten Nesselzellen analysiert. Mit Untersuchungen an Zellen des Süßwasserpolypen Hydra fanden die Biologen heraus, dass bestimmte Zellstrukturen – die Organellen – eine außerordentlich komplexe Zusammensetzung von Giften und Proteinen aufweisen. Die Forschungsergebnisse zeigen außerdem, wie die Energie für die Abgabe des Gifts in den Nesselzellen gespeichert und mit außergewöhnlich hoher Geschwindigkeit freigesetzt werden kann.
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Süßwasserpolyp Hydra. Tier mit Fangarmen (Tentakeln) und Knospen (links); Tentakel mit Nesselzellen in Batteriezellen eines Tentakels (Mitte); isolierte z. T. entladene Nesselkapseln (rechts).
Nüchter und Holstein (links), Holstein (Mitte und rechts), Molekulare Evolution & Genomik, COS Heidelberg
Mit ihren Giftzellen haben Quallen und andere Nesseltiere einen der giftigsten und differenziertesten zellulären Mechanismen in der Tierwelt entwickelt. Nesselzellen, die auch als Nematocyten oder Cnidozyten bezeichnet werden, sitzen in der Außenhaut der Nesseltiere und werden zum Beutefang oder zur Verteidigung eingesetzt. Sie bestehen vor allem aus einer Nesselkapsel, einer in Relation zur gesamten Zelle riesigen Organelle. Darin befinden sich wiederum der sogenannte Nesselschlauch und ein Stilett, über die die Gifte der Nesseltiere nach außen transportiert werden. Diese zellulären Waffen enthalten eine Mischung von bisher unbekannten Giften, die das Nervensystem von Beutetieren lähmen und deren Zellen zerstören. Die Injektion der Gifte erfordert einen effektiven Mechanismus. Forschungen haben gezeigt, dass die Giftabgabe mit einem extrem hohen Druck von 15 Megapascal verbunden ist, wodurch das Stilett, eine dünne Nadel, selbst die Panzer von Krebstieren durchdringen kann. Mit einer Geschwindigkeit von weniger als 700 Nanosekunden, in denen das Stilett mit einer Kraft von 5.000.000 g beschleunigt wird, ist die Giftinjektion mit dem Abschuss einer Harpune vergleichbar.
Bisher waren die molekularen Bestandteile, die für die biomechanischen Eigenschaften der Nesselzellen verantwortlich sind, weitgehend unbekannt. Die Heidelberger Wissenschaftler haben nun Zellen des Süßwasserpolypen Hydra magnipapillata mit Hilfe der Protein-Massenspektroskopie untersucht. Mit diesem Verfahren, mit dem sich die chemische Zusammensetzung von Substanzen qualitativ und quantitativ genau analysieren lässt, konnten die Forscher das Nematocyten-Proteom von Hydra entschlüsseln. Von seiner Komplexität waren die Forscher um Prof. Holstein und Dr. Özbek überrascht: Die Biologen entdeckten 410 Proteine mit giftigen und zellzersetzenden, aber auch mit adhäsiven oder faserigen Eigenschaften. Dabei enthalten die Proteine der Nesselkapselwand bislang unbekannte strukturelle Bausteine, die eine bindegewebsartige Matrix bilden, also ein komplexes Proteingeflecht. Diese Struktur aus Collagen und Elastomeren ist im Hinblick auf ihre Elastizität und Belastbarkeit selbst Spinnenseide überlegen.
Mit diesen Forschungsergebnissen können die Heidelberger Wissenschaftler erklären, wie die Energie für die Abgabe des Gifts in den Nesselzellen gespeichert und durch die dehnbare Struktur der Nesselkapselwand im Nanosekundenbereich und mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit freigesetzt werden kann. „Die Giftzellen der Nesseltiere stellen damit eine effektive Kombination eines kraftvollen molekularen Federungsmechanismus und einer Struktur mit extremen biophysikalischen Eigenschaften dar“, sagt Prof. Holstein. Darüber hinaus legen die Untersuchungen nahe, dass die Organellen, die das Gift zur Injektion enthalten, in ihrer Entwicklung molekulare Eigenschaften von Bindegewebsproteinen wie Kollagenen übernommen haben. Nur so kann es nach Angaben von Prof. Holstein möglich gewesen sein, einen derart differenzierten Mechanismus zum Beutefang und zur Verteidigung auszubilden.
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