Deutsche Biotech-Branche auf stabilem Wachstumskurs

Umsatz, Forschungsausgaben und Anzahl der Beschäftigten in der deutschen Biotech-Branche gestiegen

18.04.2012 - Deutschland

Die deutsche Biotech-Branche ist weiter auf Wachstumskurs: Im Jahr 2011 konnte das so genannte Kernsegment, also Biotech-Unternehmen, die ihren Stammsitz in Deutschland haben, den Umsatz um 10 Prozent auf 1,09 Milliarden Euro Umsatz steigern. Auch die Zahl der Beschäftigten stieg – um vier Prozent auf gut 10.000 – während die Anzahl der Unternehmen mit 397 leicht unter dem Niveau des Vorjahres (403) lag. Dieser stabile Aufwärtstrend ist trotz deutlich verschlechterter Finanzierungszahlen zu beobachten: Der Zufluss von Kapital verringerte sich um 71 Prozent von 441 auf 130 Millionen Euro. Zu diesen Ergebnissen kommt der 13. deutsche Biotechnologie-Report der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young.

Im Vergleich zum Jahr 2010 stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) um vier Prozent auf 783 Millionen Euro. „Die deutsche Biotech-Branche hat sich 2011 in einem insgesamt günstigen wirtschaftlichen Umfeld stabil positiv entwickelt. Alle wichtigen Kennziffern zeigen in die richtige Richtung“. Positiv wertet Siegfried Bialojan, Leiter des Life Science Industriezentrums bei Ernst & Young und Autor der Studie, vor allem, dass die Verluste um fünf Prozent auf 437 Millionen Euro reduziert werden konnten, während gleichzeitig die F&E-Investitionen erhöht wurden. „Die Biotech-Branche nimmt als Innovationsmotor weiter Fahrt auf – und diese Innovationen werden zunehmend aus dem operativen Cash Flow bezahlt“, stellt Bialojan fest.

Klassische Finanzierungsmodelle gescheitert

Gemessen am Investitionsvolumen publizierter Finanzierungsrunden hat sich die Kapitalausstattung der deutschen Biotech-Branche im Jahr 2011 signifikant verschlechtert. Flossen im Jahr 2010 noch 441 Millionen Euro in die Branche, waren es im vergangenen Jahr nur noch 130 Millionen Euro – ein Rückgang um 71 Prozent. Sogar im Krisenjahr 2009 investierten Kapitalgeber mit 153 Millionen Euro mehr Geld in die junge Branche.

Risikokapitalgeber investierten nur noch 87 Millionen Euro in diesen Sektor (Vorjahr: 281 Millionen Euro). „Allerdings“, betont Bialojan, „demonstriert diese Statistik mehr und mehr das Scheitern des klassischen Venture Capital-Modells und lässt eine Vielzahl alternativer, leider meist nicht publizierter, Finanzierungen außer Betracht.“

Börsennotierte Gesellschaften konnten auf einem schwachen Kapitalmarkt lediglich 43 Millionen Euro an zusätzlichem Kapital aufnehmen – im Vorjahr waren es noch 160 Millionen Euro gewesen. Börsengänge deutscher Biotechnologieunternehmen blieben im fünften Jahr in Folge aus.

Europaweit fällt der Rückgang beim Zufluss von Kapital weniger stark aus als in Deutschland: Nachdem im Jahr 2010 noch 2.852 Millionen Euro in die Branche investiert wurden, erhielten die Unternehmen 2011 nur noch 2.050 Millionen Euro – ein Rückgang um 28 Prozent.

Im gesamteuropäischen Durchschnitt erwies sich die Risikofinanzierung als einigermaßen stabil (minus 8 Prozent). In den einzelnen Ländern ist sie jedoch von starken Schwankungen geprägt. Demgegenüber waren bei Börsengängen und Sekundärfinanzierungen börsennotierter Unternehmen deutliche Rückgänge zu verzeichnen (minus 40 Prozent). In den Vereinigten Staaten mit ihrer sehr viel reiferen Branche war im vergangenen Jahr eine gegenläufige Entwicklung festzustellen: Der Kapitalzufluss stieg im Jahresvergleich von 21,5 auf 29,8 Milliarden Euro. Diese Entwicklung ist vor allem der besseren Finanzierung börsennotierter Gesellschaften durch erfolgreiche Kapitalerhöhungen und insbesondere durch zunehmenden Fremdkapitalzugang zu verdanken.

Stabile Entwicklung trotz mangelndem Risikokapital

„Die deutsche Biotech-Branche leidet zwar nach wie vor unter erheblichen Finanzierungsproblemen“, konstatiert Bialojan. Allerdings gelinge es den Unternehmen zunehmend, trotz eines schwachen Kapitalzuflusses operativ gute Ergebnisse vorzuweisen: „Die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zeigen eine gesunde und stabile Entwicklung der Branche“.

Die Unternehmen hätten auf das Scheitern des VC-Finanzierungsmodells, das sich seit einigen Jahren anbahne, bereits reagiert: „Viele Unternehmen haben ihre Geschäftsmodelle umgestellt, um ihre Abhängigkeit vom schwindenden Risikokapital zu reduzieren. In vielen Fällen gehen sie weg von der forschungs- und kostenintensiven Wirkstoffentwicklung und konzentrieren sich stärker auf innovative Technologieplattformen, Entwicklungen im Diagnostikbereich sowie Dienstleistungen.“ Andererseits habe vielfach auch die Steigerung der Kapitaleffizienz durch systematische Analyse der Kostenstrukturen sowie der Investitionsstrategien signifikant zu einem niedrigeren Kapitalbedarf beigetragen, so Bialojan.

Auf der Kapitalgeberseite wird der Rückgang der klassischen VC-Investoren zum Teil aufgefangen durch neue Investorengruppen, die ihre Aktivitäten nicht oder nur sporadisch – meist als Teile eines Konsortiums – veröffentlichen. Diese ‚Dunkelziffer‘ aufgrund einer stark verminderten Transparenz bei den Finanzierungsaktivitäten dürfte einen nicht unerheblichen Anteil des ‚fehlenden‘ Finanzierungsvolumens ausmachen. Zu diesen alternativen Investoren zählen u. a. Family Offices, Privatinvestoren und entsprechende Fonds, aber auch Fördergeldgeber (EU, Bund, Länder) und Stiftungen.

Bialojan sieht private Investoren, vor allem Family Offices, eindeutig auf dem Vormarsch: „Ihre Bedeutung für die Branche steigt. Private Investoren werden aufgrund ihres signifikanten Kapitaleinsatzes in Zukunft sicherlich einige Erfolgsgeschichten ermöglichen, die die Branche insgesamt wieder in ein positiveres Licht rücken könnten.“

„Dennoch“, gibt Bialojan zu bedenken, „dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, dass ein nicht mehr funktionsfähiges VC-Modell, das dauerhafte Ausbleiben von IPOs und das schwache Kapitalmarktinteresse am Biotech-Sektor auf lange Sicht dazu führen werden, dass sich die Branche von den lukrativsten Wertschöpfungsmodellen der Medikamenten-Entwicklung verabschieden wird“. Hier sei auch der Staat klar gefordert, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Investitionen in risikoreiche Innovationen eher belohnt werden, anstatt entsprechende Investoren durch immer weitere Restriktionen (z.B. Basel III, Solvency II) zu bestrafen.

Geringe Fortschritte bei der Produktentwicklung

Insgesamt ist die Zahl der Wirkstoffe in der Medikamenten-Entwicklung bei den deutschen Biotech-Unternehmen minimal von 304 auf 301 gesunken. In der aus Wertschöpfungssicht wichtigen klinischen Prüfung – also in den Phasen I bis III – befinden sich derzeit mit 143 Wirkstoffen geringfügig weniger Projekte als im Vorjahr (144). Im europäischen Vergleich hat der Biotech-Sektor in Deutschland mit 142 Projekten in den Phasen I-III die am zweitstärksten gefüllte Entwicklungspipeline – hinter der britischen Branche mit 218 Wirkstoffen. Zum ersten Mal seit 2009 wurde im vergangenen Jahr einem deutschen Biotech-Unternehmen wieder eine Marktzulassung erteilt: Im Dezember 2011 ließ die Europäische Kommission das Medikament Ameluz der Leverkusener Biofrontera AG zur Vermarktung zu. Das Therapeutikum ist ein verschreibungspflichtiges Medikament zur Hautkrebs-Behandlung.

Insgesamt ist im Bereich der Medikamenten-Entwicklung eine weitaus größere Dynamik festzustellen, als auf den ersten Blick sichtbar wird: Die zahlreichen Neuaufnahmen bzw. erfolgreichen Phasenübergänge (24) belegen die Innovationskraft der Unternehmen. Insgesamt 27 Projektverluste erfolgten durch Abbrüche mangels Wirkung oder durch Übernahmen der entsprechenden Unternehmen.

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