Evolution: Sind die Insekten Krebse?

11.04.2012 - Österreich

Ob krabbelnd, kriechend oder fliegend: Insekten haben die Welt erobert und sind die mit Abstand artenreichste Tiergruppe. Im Projekt "1KITE" haben sich 50 Wissenschafter aus allen Disziplinen zusammengefunden, um diese evolutionäre Erfolgsstory zu enträtseln. Von Seiten der Universität Wien ist ein Team rund um den Evolutionsbiologen Günther Pass beteiligt.

B. v. Reumont

Seit einigen Jahren geht man davon aus, dass die Insekten eine Teilgruppe der Krebse sind. Nach den neuesten molekulargenetischen Untersuchungen sind die nächsten heute noch lebenden Verwandten die Krebsgruppe Remipedia. Die Tiere sind nur wenige Zentimeter lang und wurden erst vor ca. 30 Jahren entdeckt.

Ziel des internationalen Projekts ist es, die Evolutionsgeschichte der Insekten zu rekonstruieren. Grundlage dafür soll ein evolutionärer Stammbaum dieser Tiergruppe sein, der auf umfangreichen molekulargenetischen Daten beruht. Dazu werden im Rahmen des großangelegten Forschungsprojekts "1KITE" ("1K Insect Transcriptome Evolution") die Transkriptome von 1.000 Insektenarten untersucht.

"Das Transkriptom einer Art umfasst die Gesamtheit aller Gene, die zu einem bestimmten Zeitpunkt transkribiert, das heißt von DNA in RNA übersetzt werden. Es gibt somit Auskunft über einen großen und wichtigen Teil der Erbinformation eines Organismus", erklärt Günther Pass vom Department für Evolutionsbiologie, der gemeinsam mit seinem Team am internationalen Forschungsvorhaben beteiligt ist.

Warum sind Insekten so erfolgreich?

Die Geschichte der Insekten beginnt vor rund 400 Millionen Jahren und ist eine absolute Erfolgsstory. Sie haben sich aus marinen Vorfahren entwickelt und gehören zu den ersten Tieren, die terrestrische Lebensräume besiedelt haben. "Bereits im Paläozoikum haben Insekten auch den Luftraum erobert, lange bevor die Wirbeltiere in diesen Lebensraum vorgestoßen sind. Im Erdmittelalter ist dann zusammen mit der Evolution der Blütenpflanzen die große Vielfalt der Insekten entstanden", erklärt der Forscher.

Heute sind Insekten mit rund einer Million beschriebener Arten die mit Abstand artenreichste Tiergruppe. Sie haben – mit Ausnahme des offenen Meeres – alle Lebensräume besiedelt und besitzen eine enorme ökologische Bedeutung in Nahrungsnetzen und Stoffkreisläufen. Wie ist diese enorme Artenvielfalt entstanden und warum sind gerade die Insekten ökologisch so erfolgreich? "Um auf diese elementaren Fragen der Evolutionsbiologie schlüssige Antworten zu finden, ist die Aufklärung des Stammbaums der Insekten eine unabdingbare Voraussetzung", bringt es Günther Pass auf den Punkt.

Die "Ur-Insekten" – bislang noch wenig berücksichtigt

Im Team rund um den Wiener Evolutionsbiologen gehört das besondere Forschungsinteresse den sogenannten Ur-Insekten: "Diese Tiere sind durch zahlreiche ursprüngliche Merkmale gekennzeichnet. So haben sie zum Beispiel keine Flügel und entwickeln sich ohne Metamorphose. Sie gleichen darin den ältesten bekannten Fossilien der Insekten und sind deshalb für unser Verständnis der Evolution der gesamten Tiergruppe besonders wertvoll", erzählt Pass, und fährt fort: "Die heute lebenden Ur-Insekten sind zum großen Teil Bodentiere mit einer verborgenen Lebensweise und haben in der Wissenschaft vergleichsweise wenig Beachtung gefunden."

Die Analyse des phylogenetischen Ursprungs dieser Ur-Insekten ist eine der am schwierigsten zu lösenden Fragen. Nach neuen Untersuchungen sind die Insekten nämlich nicht mit den Tausendfüßern verwandt, sondern stammen von Krebsen ab – "oder noch wahrscheinlicher: Insekten sind eine Teilgruppe der Krebse", nennt der Forscher neue und kontroversiell diskutierte Erkenntnisse, die im Projekt vertieft analysiert werden. Dabei werden nicht nur Gene sondern auch Körpermerkmale und innere Organe untersucht. Die morphologischen Ergebnisse werden neben den molekularen Daten und paläontologischen Befunden weitere wichtige Bausteine für eine umfassende Analyse der Evolutionsgeschichte der Insekten darstellen.

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