Todesstoß für Krebszellen
Das Prinzip klingt überraschend einfach: Wie alle anderen Körperzellen, gewinnen Krebszellen aus der Nahrung die notwendige Energie, um ihren Stoffwechsel aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig aber verwenden sie einen großen Teil ihrer Nahrung, um daraus neue Zellbausteine aufzubauen, sich zu teilen und zu vermehren. Weil Nahrung immer nur begrenzt vorhanden ist, arbeitet in Zellen eine Art „Wächter“, der darauf achtet, dass für beide Aufgaben immer genügend Ressourcen verwendet werden, und der das Wachstum begrenzt, wenn der Zelle nicht ausreichend Energie für normale Stoffwechselvorgänge zur Verfügung steht.
Publikation in Nature
Was passiert, wenn man diesen Wächter an seiner Arbeit hindert, haben Professor Martin Eilers und Dr. Daniel J. Murphy vom Biozentrum der Universität Würzburg in Zusammenarbeit mit einem internationalen Team erforscht. Über ihre Arbeit berichtet die Fachzeitschrift Nature in ihrer aktuellen Ausgabe.
Das Ergebnis: „Wenn die Krebszelle keine Rückmeldung mehr darüber erhält, dass ihr Energiehaushalt aus dem Gleichgewicht geraten ist, verschwendet sie ihre gesamten Ressourcen aus der Nahrung darauf, zu wachsen und sich zu teilen“, erklärt Martin Eilers, Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie und Molekularbiologie. Die Zelle verausgabt sich dabei so sehr, dass ihr am Ende keine Energie mehr bleibt für die normalen Stoffwechselvorgänge in ihrem Inneren. Tatsächlich stirbt die Krebszelle ohne den Warnruf des Wächters, wie die Forscher zeigen konnten.
Auf den „Wächter“ waren die Forscher durch Zufall gestoßen. In großen Reihenuntersuchungen hatten sie gezielt Enzyme, sogenannte Kinasen, in Krebszellen abgeschaltet und dann die Folgen kontrolliert. Im Fall der ARK5-Kinase hatten sie einen Volltreffer gelandet. „Diese Kinase eignet sich als Angriffspunkt für potenzielle neue Medikamente“, sagt Daniel J. Murphy, Gruppenleiter am Lehrstuhl für Physiologische Chemie II. In sämtlichen Experimenten hätten sich Krebszellen an dieser Stelle als verwundbar gezeigt.
Gleichzeitig – und zur Überraschung der Wissenschaftler – hat sich in den Versuchen gezeigt, dass normale Zellen von einer Blockade der Kinase weitgehend unberührt bleiben. „Warum das so ist, verstehen wir noch nicht bis ins letzte Detail“, sagt Murphy. Und möglicherweise zeigen sich nach längerer Zeit auch an dieser Stelle Auswirkungen. Dennoch: „Wichtig im Hinblick auf eine potenzielle Therapie ist die Tatsache, dass sich an dieser Stelle normale von Krebszellen unterscheiden“, so Murphy.
Ein wissenschaftlicher Durchbruch
Ist das ein Durchbruch in der Krebstherapie? Bei dieser Frage zögern die Wissenschaftler mit der Antwort. „Ein neues Konzept ist es auf jeden Fall“, sagt Martin Eilers. „Eine ganz neue Art, das Problem anzugehen“, ergänzt Daniel J. Murphy. Ob damit auch ein Durchbruch für die Therapie einhergehen wird, müsse die Zeit zeigen. In der Zellkultur und im Tierversuch habe die Methode jedenfalls an Darmkrebszellen ihre Wirksamkeit bewiesen. Inwieweit auch andere Krebsarten sich auf diese Weise in den Tod treiben lassen, müsse im Rahmen weiterer Studien untersucht werden.
Immerhin hat die Pharmaindustrie bereits großes Interesse an den Ergebnissen der Würzburger Forscher gezeigt; eine Zusammenarbeit wird bald starten. Mit dem Comprehensive Cancer Center der Universität Würzburg stünde außerdem ein Partner bereit, um das Konzept in weiteren präklinischen Versuchen und eines Tages eine möglicheTherapie am Krankenbett erproben zu können, sagt Eilers.
Vor verfrühten Hoffnungen warnen die beiden allerdings: Es seien noch jede Menge Studien notwendig, bis ein abschließendes Urteil über den neuen Ansatz einer Krebstherapie möglich sei; und viele Jahre werden vergehen, bis ein Medikament marktreif ist – falls es überhaupt dazu kommt. „Es besteht immer die Gefahr, dass Zellen gegen einen Wirkstoff eine Resistenz entwickeln“, warnt Eilers vor allzu großer Euphorie.
Trotzdem: Momentan sind die beiden Wissenschaftler wegen ihrer Entdeckung optimistisch. Denn der wissenschaftliche Durchbruch steht zweifelsfrei fest.