MikroRNAs als neue Hoffnung gegen Fettsucht und Diabetes

Grazer Forscherteam entdeckt MikroRNAs als neue Schalter der Fettzellentwicklung im Menschen

03.04.2012 - Österreich

Hunger bedrohte die Menschheit seit jeher. Kein Wunder also, dass der menschliche Körper jeden Überschuss an Nahrung im Fettgewebe zu speichern versucht. In den Industrienationen wird dieses lebensrettende Verlangen zum Problem und die Fettsucht, Adipositas, zur Gefahr. Warum aber macht zu viel Fett den Körper krank? Wie löst Fett Diabetes aus? Und könnten die überschüssigen Fettreserven in Wärme umgewandelt also gleichsam verbrannt werden?

Harald Stauber, Oncotyrol

Marcel Scheideler (l.) und Michael Karbiener (r.) erforschen die Bildung von Fettzellen.

Scheideler

Fettzellen mit rot eingefärbten Fetttröpfchen.

Harald Stauber, Oncotyrol
Scheideler

Marcel Scheideler von der Technischen Universität Graz hat sich in einem Teilprojekt des österreichischen Genomforschungsprogramms GEN-AU intensiv mit diesen Fragen beschäftigt und entdeckt, dass MikroRNAs ein Teil der Antwort sind. Schon länger ist bekannt, dass diese von menschlichen Zellen produzierten Moleküle eine wichtige Rolle bei der Genregulation spielen und damit zur Krebsentstehung beitragen - ein Forschungsgebiet, in dem Scheideler als Teil eines interdisziplinären Forscherteams bereits wesentliche Erkenntnisse gewinnen konnte (1). Dass MikroRNAs auch für Fettsucht und Diabetes mitverantwortlich sein könnten, ist allerdings eine neue Erkenntnis, zu der Scheideler und sein Team in jüngster Zeit intensiv beigetragen haben (2-4). Das Thema RNA und Adipositas spielte daher eine wichtige Rolle auf der Tagung „9 Jahre GEN-AU Programm“  in Innsbruck. Die an der Tagung teilnehmenden GEN-AU Forschungsprojekte werden von der Innsbrucker Firma CEMIT gemanagt.

Zuviel Fett macht nicht nur dick, sondern auch zuckerkrank

„Im Blut frei zirkulierende Fettsäuren aus der Nahrung sind für den Menschen toxisch. Daher ist weißes Fettgewebe darauf spezialisiert, Fette aus der Blutbahn einzufangen und einzulagern“, erklärte Scheideler. „Wird jedoch die Kapazität des Fettgewebes erreicht oder sogar überschritten, treten chronische Entzündungsreaktionen am Fettgewebe auf und die freien Fettsäuren müssen von anderen Organen aufgenommen werden. Diese werden dadurch geschädigt, was zu Folgeerkrankungen wie Typ-2- Diabetes führt. Eine Möglichkeit im Kampf gegen Diabetes ist daher, die Aufnahmekapazität des Fettgewebes aufrechtzuerhalten.

Die Entdeckung einer „guten“ und einer „bösen“ MikroRNA

MikroRNAs können die Bildung von Proteinen hemmen, indem sie die Bauanleitungen für diese Proteine, die BotenRNAs, abfangen. Die MikroRNAs heften sich an bestimmte Stellen der BotenRNAs und verhindern damit, dass diese in Protein übersetzt werden. Der Befehl zum Bau des Proteins wird also nicht befolgt, die Menge des Proteins in der Zelle sinkt.

Michael Karbiener aus dem Team von Scheideler hat die erste MikroRNA entdeckt, welche die Fettzellbildung im Menschen bremst (2). MikroRNA-27b fängt die Bauanleitung des Proteins PPARgamma ab. PPARgamma ist bereits seit längerem dafür bekannt, die Aufnahmefähigkeit des Fettgewebes zu steigern. Daher sind auch schon Medikamente auf dem Markt, die dieses Protein aktivieren, um Diabetes zu bekämpfen. Diese helfen aber einerseits nicht allen Patienten und sind andererseits mit Nebenwirkungen behaftet. Die Forschung der Grazer Wissenschaftler könnte nun eine Erklärung dafür liefern: möglicherweise ist MikroRNA-27b und seine Hemmung von PPARgamma für das Versagen dieser Medikamente verantwortlich. Folglich könnte eine  Hemmung der MikroRNA-27b dazu führen, daß das Medikament seine Wirkung in geringerer Dosis und ohne Nebenwirkungen entfalten kann. Denn es ist bereits beobachtet worden, dass MikroRNA-27b vermehrt im Fettgewebe diabetischer Ratten gebildet wird – ein weiterer Hinweis für die Verbindung dieser MikroRNA mit Diabetes. Vor allem aber scheint die von den Grazern entdeckte Wirkung der MikroRNA-27b auf PPARgamma ein weiterer Puzzlestein zu sein, die Diabetes-Entstehung selbst zu erklären und neue Angriffspunkte zur Diabetes-Bekämpfung zu finden.

Ende 2011 entdeckte das Scheideler-Team eine weitere MikroRNA mit gegenteiligem Effekt. MikroRNA-30c fördert die Fettzellbildung, indem sie gleichzeitig zwei verschiedene Proteine bremst (3). Eines dieser Proteine ist bekannt für seinen Einfluss auf die Entstehung von Diabetes. Eine pharmakologische Steuerung beider von den Grazer Forschern entdeckten MikroRNAs könnte demnach sowohl für Adipositas als auch Diabetes therapeutisch hilfreich sein.

Fettverbrennung im braunen Fett – neue Hoffnung im Kampf gegen Adipositas

Erst vor wenigen Jahren wurde entdeckt, dass nicht nur Neugeborene, sondern auch Erwachsene über braunes Fettgewebe verfügen, welches der Körper zur Wärmeproduktion verwendet. Gelänge es, Teile des „normalen“ weißen Fettgewebes in braunes umzuwandeln und zu aktivieren, könnten überschüssige Fettablagerungen quasi verbrannt werden - ein völlig neuer therapeutischer Ansatz im Kampf gegen Fettleibigkeit und Diabetes. In Zusammenarbeit mit Forschern aus Nizza in Frankreich haben Scheideler und sein Team nun kürzlich erstmals ein menschliches Zellmodell entwickelt, an dem sich die Umwandlung von energiespeichernden weißen in energieverbrennende braune Fettzellen studieren lässt (4). Die Forschung der Grazer Wissenschaftler im GEN-AU-Programm war so erfolgreich, dass sie ins soeben gestartete europäische EU-Großprojekt DIABAT aufgenommen wurden, in welchem sie die Umwandlung von weißem in braunes Fettgewebe für die Bekämpfung von Diabetes tiefergehend erforschen möchten.

Im Rahmen des GEN-AU Teilprojekts zu nichtkodierenden RNAs, in dem die Arbeiten Scheidelers stattfanden, wurden RNAs untersucht, die aus einem Teil unseres Erbguts stammen, der lange als „genetischer Abfall“ galt, da die von dort stammenden RNAs keine BotenRNAs sind, also keine Bauanleitungen für Proteine darstellen. Dass gerade diese Regionen des Erbguts speziell für höhere Lebewesen von äußerster Wichtigkeit sind, wird mittlerweile von der gesamten wissenschaftlichen Gemeinde als eine der wesentlichen biologischen Erkenntnisse des letzten Jahrzehnts angesehen. Umso deutlicher wird somit, dass die Arbeit des GEN-AU Teilprojekts zu nichtkodierenden RNAs am Puls der Zeit stattfindet. „Die Arbeit der Scheideler-Gruppe ist eine Erfolgsgeschichte des GEN-AU Projekts zu nichtkodierenden RNAs“, sagen die beiden wissenschaftlichen Koordinatoren des Projekts Alexander Hüttenhofer von der Medizinischen Universität Innsbruck und Norbert Polacek, der mittlerweile an der Universität Bern forscht. Wie erfolgreich die Arbeit war, hat sich nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen niedergeschlagen, sondern auch in einer Patentanmeldung. Außerdem hat Scheidelers Mitarbeiter Karbiener Ende 2011 für seine hervorragende Doktorarbeit zwei Preise gewonnen, je einen von der TU Graz und von der Ing. Friedrich Schmiedl Stiftung.

Originalveröffentlichung

(1) Merkel et al (2010). „Identification of differential and functionally active miRNAs in both ALK+ and ALK- anaplastic large cell lymphoma”. Proceedings of the National Academy of Science USA 107(37):16228-33

(2) Karbiener et al. (2009) ”microRNA miR-27b impairs human adipocyte differentiation and targets PPARgamma“, Biochemical and Biophysical Research Communications 390:247-251.

(3) Karbiener et al. (2011) “MicroRNA-30c promotes human adipocyte differentiation and co-represses PAI-1 and ALK2”. RNA Biology 8(5):850-860.

(4) Pisani et al. (2011) “Differentiation of human adipose-derived stem cells into ’brite’ (brown-in-white) adipocytes”. Cellular Endocrinology, Frontiers in Cellular Endocrinology 2(87):1-9.

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