Wie Chemotherapie besser wirkt

07.03.2012 - Schweiz

Forscher der Universität Zürich finden eine zelluläre Bremse, die Krebszellen vor Chemotherapeutika schützt – und sie zeigen, mit welchen Medikamenten diese außer Betrieb gesetzt werden kann. Ihre Studie liefert die molekulare Grundlage für vielversprechende therapeutische Fortschritte und ist in der Fachpublikation «Nature Structural and Molecular Biology» erschienen.

Obwohl viele Krebsmedikamente zum Teil schon Jahrzehnte im Einsatz sind, ist ihre Wirkungsweise noch immer unbekannt. Die neuen Forschungsergebnisse stellen nun auch einen Wirkungsmechanismus in Frage, der früher für eine Gruppe von Medikamenten vorgeschlagen und auch bereits experimentell unterstützt wurde. Es handelt sich dabei um den Topoisomerase I-Hemmer Camptothecin (kurz Top1-Inhibitor), beziehungsweise seine in der Chemotherapie eingesetzten Derivate Topotecan und Irinotecan.

Problem: Zelluläre Notbremse hemmt Wirkung

Lange Zeit erklärte man die Toxizität der Top1-Inhibitoren damit, dass sie Unterbrechungen in der DNS der Krebszellen verursachen, welche dann bei der Replikation der DNS unausweichlich zu Brüchen in den Chromosomen führen würden.

Die Gruppe um Prof. Massimo Lopes am Institut für Molekulare Krebsforschung der Universität Zürich hat nun erstmals einen Mechanismus identifiziert, mit dem sich Krebszellen vor den durch Top1-Inhibitionen verursachten Schäden schützen: Mittels Elektronenmikroskopie konnten die Forscher zeigen, dass Top1-Hemmer bewirken, dass die Replikationsgabeln, die bei der Duplikation der DNS entstehen, umstrukturiert werden können. Es entstehen «umgekehrte» Replikationsgabeln, die auch «Hühnerfuss»-Strukturen genannt werden. Dieser Umbau der Replikationsgabeln gibt der Krebszelle die notwendige Zeit, um die Unterbrechung in der DNS zu reparieren und dadurch den ungleich zytotoxischeren Bruch des Chromosoms zu verhindern.

«Bisher war der angenommene Wirkmechanismus der Top1-Inhibitoren vergleichbar mit einem Zug, der ungebremst auf ein Hindernis auffährt und der dabei zwangsläufig entgleist», kommentiert Massimo Lopes die Ergebnisse. «Was wir nun entdeckt haben, ist die Notbremse, welche die Zelle selbst aktiviert, um sich vor dem Inhibitor zu schützen.» Arnab Ray-Chaudhuri, der massgeblich an der Studie mitgewirkt hat, zieht die Schlussfolgerung: «Dank der Entdeckung dieses Mechanismus verstehen wir nun auch, weshalb die Chemotherapie mit diesen Medikamenten nicht immer wie erwartet wirkt.»

Die Hypothese, dass solche DNS-Strukturen existieren, wurde bereits vor vielen Jahren aufgestellt, ist aber erst jetzt von der Gruppe um Massimo Lopes in menschlichen Zellen bewiesen worden. Dabei sind diese Hühnersfuss-Strukturen sogar überraschend häufig, und zwar bei klinisch relevanten Dosen der Top1-Hemmer.

Lösung: Notbremse außer Betrieb setzen

Die neuen Beobachtungen stoßen auf eine interessante Koinzidenz: Beim Ziehen der Notbremse, respektive an der Umstrukturierung der Replikationsgabeln beteiligt ist eine Familie von Enzymen, die in der jüngeren Vergangenheit sehr großes Interesse als potentielles Ziel neuer Krebstherapien auf sich gezogen hat: Die Poly-ADP-Ribose Polymerasen, kurz PARPs. Denn PARP-Inhibitoren verstärken die Empfindlichkeit von Krebszellen für verschiedene die DNS schädigende Medikamente, darunter auch jene der Top1-Inhibitoren. Die neue Studie zeigt, wieso: Die Inhibition von PARP verhindert das Umkehren der Replikationsgabel und erhöht die Zahl der durch Top1-Inhibitoren verursachten Chromosomenbrüche. Massimo Lopes und seine Mitarbeiter liefern damit eine klare molekulare Grundlage für die beschriebenen klinischen Beobachtungen und bereiten den Weg für vielversprechende therapeutische Fortschritte.

Aktuell untersucht die Gruppe um Massimo Lopes, ob der gleiche oder ein ähnlicher Mechanismus durch andere Klassen von Chemotherapeutika aktiviert wird und welche zellulären Faktoren an dieser molekularen «Notbremse» beteiligt sind. Das Ziel ist, Tumoren zu identifizieren, in denen dieser Mechanismus nicht aktiv ist, oder den Mechanismus pharmakologisch zu hemmen, um so die Wirkung der Chemotherapie zu verbessern.

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