Das Ende des „Maiglöckchen-Phänomens“ in der Spermienforschung?
Spermien können keine Düfte riechen
Spermien haben einen weiten Weg vor sich, um die Eizelle zu finden; nur wenige der Millionen von Spermien erreichen ihr Ziel. Die Eizelle unterstützt die Spermien bei ihrer Suche, indem sie „chemische Wegweiser“, sogenannte Lockstoffe, aussendet. Dieses raffinierte System haben Forscher erstmalig bei Seeigeln entdeckt und herausgefunden, dass Lockstoffe die Schwimmbewegung der Spermien steuern, indem sie deren Kalziumhaushalt verändern. Das Anlocken der Spermien bezeichnet man als „Chemotaxis“. Anders als bei Seeigeln, die Spermien und Eizellen ins Seewasser abgeben, lassen sich die Bedingungen im engen Eileiter des Menschen nur schwer experimentell nachstellen.
Einem weiteren Modell zufolge lockt das weibliche Sexualhormon Progesteron – das von Kumuluszellen in der Nähe der Eizelle gebildet wird – die Spermien an. Für die Progesteronwirkung sind sogenannte CatSper-Ionenkanäle (cation channels of sperm) verantwortlich. Die CatSper-Kanäle, die sich ausschließlich in Spermien befinden, sind unverzichtbar für die Fortpflanzung: Männer, die einen Gendefekt für CatSper tragen, sind unfruchtbar. In einer aufsehenerregenden Arbeit konnten Wissenschaftler vom Forschungszentrum caesar 2011 zeigen, dass Progesteron die CatSper-Kanäle direkt öffnet, wodurch Kalzium in die Spermien-Zelle strömt.
In ihrer aktuellen Studie zeigen die Bonner Forscher nun in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich, dass der Maiglöckchenduft die Progesteronwirkung auf Spermien imitiert: Bourgeonal öffnet die CatSper-Kanäle ebenfalls direkt – ohne Umweg über Duftstoffrezeptoren und komplizierte biochemische Signalwege, wie man sie in Riechzellen findet. Allerdings wirken die Duftstoffe erst bei mehr als 1000fach höheren Konzentrationen als Progesteron. Fazit: Duftstoffe wirken nur bei einer Überdosis. Das „Maiglöckchen-Phänomen“ beruht also auf einem Labor-Artefakt: einen Riech-Signalweg gibt es nicht in Spermien.
Diese Ergebnisse liefern den Spermienforschern wichtige neue Erkenntnisse. Warum sind die CatSper-Kanäle so wenig wählerisch und reagieren sogar auf Menthol, wenn die Konzentration nur hoch genug ist? Vermutlich ist die „promiskuitive“ Eigenschaft entscheidend für die Fortpflanzung. Die Spermien müssen sich auf ihrer beschwerlichen Reise zur Eizelle immer wieder anhand verschiedener „chemischer Wegweiser“ vergewissern, dass sie noch auf der richtigen Spur sind. Mit Hilfe der CatSper-Kanäle als vielseitige und empfindliche Sensoren können Spermien das chemische Milieu im Eileiter „auslesen“ und so die Eizelle aufspüren. Die Bonner Forscher konzentrieren sich jetzt darauf, neben Progesteron weitere Lockstoffe im Eileiter zu identifizieren. Eines ist aber deutlich geworden: Duftstoffe sind es wohl nicht.
Die neuen Erkenntnisse sind auch medizinisch bedeutsam. Wenn es gelänge, die Wirkung weiblicher Faktoren auf die CatSper-Kanäle zu stören, könnte das zu einem neuartigen Verhütungsmittel – der Pille für den Mann – führen. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg.