Alzheimer: Krankmachende Proteinstrukturen identifiziert
Wissenschaftler entschlüsseln den strukturellen Aufbau neurotoxischer Eiweißverbindungen
© K. Wagner / FLI, panthermedia, microsoft
Das den Alzheimer-Plaques zugrunde liegende Eiweiß ist das sogenannte ß-Amyloid-Peptid, das als Bruchstück aus einem ganz normalen Zellprotein entsteht. Dieses ß-Amyloid kann faserförmige, fibrilläre Aggregate bilden, die Alzheimerfibrillen. Der Prozess verläuft über Zwischenstufen: Aus den Peptiden bilden sich zunächst lose zusammengelagerte Oligomere und sogenannte Protofibrillen. Bereits die niedermolekularen Oligomere können Gehirnfunktionen stören. Um diesen Prozessen weiter auf die Spur zu kommen, haben die Wissenschaftler verschiedene ß-Amyloid-Oligomere künstlich nachgebaut und ihre Struktur bestimmt. Die Moleküle zeigten im Reagenzglas das biologische Verhalten, das auch im Gehirn von Alzheimer-Patienten vermutet wird: Sie störten die Prozesse an den Synapsen, den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen. Da die Signalübertragung an den Synapsen und ihre Flexibilität die Grundlage unseres Gedächtnisses darstellt, sind Störungen hier folgenschwer.
Ein möglichst genaues Bild vom Auslöser der Alzheimer-Erkrankung zu bekommen, ist seit langem das Ziel der Strukturforscher in Halle. Für die Alzheimer-Fibrille konnte der Leiter des dortigen Teams, Marcus Fändrich, vor etwa drei Jahren mittels Elektronenmikroskopie eines der weltweit genauesten Bilder erzeugen. Nun stehen die ß-Amyloid-Oligomere im Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Gemeinsam mit den Arbeitsgruppen von Matthias Görlach vom Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena und Klaus Reymann vom Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg konnte die molekulare Konformation von ß-Amyloid-Oligomeren mit Hilfe von Festkörper-NMR (Kernspin-Resonanz)-Spektroskopie aufgeklärt werden. „Wir haben nun erstmals ein genaueres strukturelles Bild von den Molekülen, die nachweislich Synapsen schädigen“, erklärt Görlach. Dabei fanden sie Unerwartetes. Es zeigte sich nämlich, dass die Oligomer-Struktur wesentlich von dem N-terminalen Ende des ß-Amyloid-Peptids beeinflusst wird. Früher dachte man dagegen, dass diese Region des Peptids eher irrelevant ist.
Um zu zeigen, dass die künstlich hergestellten Oligomere die Funktion der Synapsen stören, führten die Wissenschaftler in lebenden Hirnschnitten aus dem Hippocampus sowie in kultivierten primären Nervenzellen durch elektrische Stimulationen eine sogenannte Langzeitpotenzierung herbei. „Die Langzeitpotenzierung ist ein vereinfachtes Modellsystem, um Gehirn-Gedächtnisleistungen zu messen“, erklärt Fändrich. „Dabei werden die Zellen im Hirnschnitt durch elektrische Impulse stark gereizt, und sie merken sich, dass sie auf diese Weise schlecht behandelt wurden. In der Folge reagieren die Zellen auf Reizungen sehr viel empfindlicher“, so Fändrich. Gibt man nun die ß-Amyloid-Oligomere auf diese Gehirnschnitte, so zeigen die elektrophysiologischen Messungen, dass die Langzeitpotenzierung geringer ausfällt, es kommt also zu einer Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung und somit der Synapsen-Funktionen.
Interessanterweise ließ sich diese Schadwirkung durch ein neuartiges Eiweiß-Molekül aufheben, welches die Forscher auf der Grundlage ihrer strukturellen Untersuchungen herstellen konnten. Die Wirkung war erstaunlich: „Sobald man dieses Molekül an das N-terminale Ende der ß-Amyloid-Peptide in Oligomeren gebunden hatte, verbesserte sich die Gedächtnisleistung deutlich“, erklärt Fändrich, und die „Merkfähigkeit“ der Gehirnzellen im LTP-Test wurde messbar erhöht.
Ein Therapeutikum haben die Forscher damit noch lange nicht gefunden, denn die als Inhibitoren verwendeten Eiweiß-Moleküle würden im Menschen wahrscheinlich sofort abgebaut werden. Dennoch weisen die Untersuchungen einen neuen Weg. Ganz offensichtlich spielt der N-Terminus von ß-Amyloid-Oligomeren und vermutlich auch von anderen ß-Amyloid-Zwischenstufen eine größere Rolle im Krankheitsgeschehen von Alzheimer als bisher angenommen. „Es ist sicher sinnvoll, den N-Terminus des ß-Amyloid-Peptids genauer anzuschauen, wenn man nach einem Therapeutikum sucht“, sagt Fändrich.