Biologen lassen Teile des erwachsenen Gehirns nachwachsen

03.02.2012 - Deutschland

Biologen der Universität Bielefeld haben es geschafft, in erwachsenen Gehirnen neue Zellen wachsen zu lassen. Das Forscherteam unter Leitung der Professoren Barbara und Christian Kaltschmidt hat einen Mechanismus entdeckt, der die Bildung neuer Nervenzellen reguliert. Erst seit einem Jahrzehnt ist bekannt, dass sich im erwachsenen Gehirn überhaupt neue Zellen bilden können. Unklar war bisher, wie das Wachstum der Zellen biochemisch beeinflusst werden kann. Den Bielefelder Forschern zufolge eröffnet ihre Entdeckung neue Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten, durch die das Nervensystem zerfällt, zum Beispiel Alzheimer, Parkinson und Depressionen.

Universität Bielefeld

Die Nervenzellen (Zellkerne in grün) senden „Kabel“ (die Axone, in rot) aus, um sich untereinander zu verbinden. Diese Verbindung der Nervenzellen ist gewöhnlich gut ausgeprägt (Bild links). Bielefelder Forscher zeigten nun, dass erheblich weniger Verbindungen und Nervenzellen wachsen, wenn der Stoff NF-kB gehemmt wird (Bild rechts), so dass die Leistungsfähigkeit rapide abnimmt.

Das Wachstum von neuen Nervenzellen – die Neurogenese – ist grundlegend für die Entwicklung und die Funktion des menschlichen Gehirns. Wissenschaftler gingen bisher davon aus, dass die Fähigkeit, neue Nervenzellen zu bilden, im Alter fast völlig zum Erliegen kommt. Die Bielefelder Forscher zeigten nun, dass es unter anderem ein biochemischer Mechanismus ist, der die Bildung neuer Nervenzellen steuert. Dieser Mechanismus wird über den Transkriptionsfaktor „NF-kB“ geregelt. Dieser Gen-Schalter bindet sich an die DNA, dem Träger der Geninformation, an. Erst dadurch werden die Informationen lesbar, wodurch Nervenzellen entstehen können.

Zu dem Ergebnis kamen die Forscher durch Versuche mit einjährigen Mäusen. Die Biologen entwickelten einen Lerntest. Dabei wurden die Mäuse darauf trainiert, in einem Labyrinth verstecktes Futter zu finden. Gesunde Mäuse bestehen diesen Test erfolgreich. Bei einigen Mäusen haben die Forscher die Produktion von „NF-kB“ mit einem Hemmstoff zeitweise gestoppt. Das Ergebnis: Sie verdummten nahezu völlig. Obwohl die Futtersuche mehrere Tage erfolgreich geübt worden war, scheiterten sie nun ohne das Wachstum neuer Nervenzellen daran. Die Zellbiologen folgern aus ihrem Versuch, dass durch das mangelnde „NF-kB“ der Hippocampus verfällt – diese Hirnregion ist wichtig für die Neubildung von Nervenzellen. Außerdem ist der Hippocampus zuständig für die Übermittlung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis.

Wenn bei diesen Versuchsmäusen nun „NF-kB“ wieder aktiviert wurde, dann lernten sie wieder genauso gut wie ihre gesunden Artgenossen. Die Forscher konnten damit zeigen, dass die Gehirne der Tiere erneut wachsen können, obwohl die Mäuse längst ausgewachsen waren: Zwischen den Nervenzellen entstanden neue Verbindungen. Bei dieser „Neuverkabelung“, der Axogenese, wachsen aus den Nervenzellen neue Fortsätze und verbinden sich mit anderen Zellen.

Die Funktionstüchtigkeit der Gehirne der einjährigen Versuchstiere entspräche der von 70 Jahre alten Menschen, so die Wissenschaftler. Professor Dr. Christian Kaltschmidt: „Da viele Aspekte wie das Problem der fehlender Stammzellreifung auch bei der Alzheimer-Erkrankung auftreten und auch bei Alzheimer-Patienten die NF-kB-Aktivierung gehemmt ist, gehen wir davon aus, dass sich die Erkenntnisse auch auf den Menschen übertragen lassen.“ Laut Kaltschmidt kann die Entdeckung helfen, künftig wirksame Medikamente zu entwickeln, die etwa bei Demenzkranken das Wachstum neuer Nervenzellen anregen.

Für die Erforschung des Gehirnwachstums arbeiteten Barbara Kaltschmidt, Christian Kaltschmidt und ihr Team mit Kollegen vom Institut Pasteur Paris und den Universitäten in Bochum und Münster zusammen.

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