Innovation aus dem Meer
Jacobs University koordiniert EU-Projekt zu Blauer Biotechnologie
Moderne biotechnologische Verfahren, in denen genetische Informationen unterschiedlichster Organismen genutzt oder verändert werden, um Produktionsprozesse zu optimieren oder gar erst zu ermöglichen, gibt es seit vielen Jahren. Wichtigste Anwendungsgebiete sind Landwirtschaft, Medizin, Pharma- und Lebensmittelindustrie. Die sogenannte „Blaue Biotechnologie“, bei der genetische Information von Meereslebewesen biotechnologisch verwertet wird, ist ein bislang noch wenig erkundetes Territorium: Nur rund 1 % der Biotechnologieunternehmen weltweit nutzen marine Lebensräume als Quelle für nutzbare genetische Informationen.
Das Potenzial grade der Blauen Biotechnologie ist jedoch enorm, da die Lebensgemeinschaften im Meer, besonders die der Mikroorganismen, eine sehr hohe Artenvielfalt und damit genetische Vielfalt aufweisen, die die von Landökosystemen weit übertrifft und bislang nur zu einem Bruchteil erforscht ist. Mit modernen Verfahren zur Gensequenzierung können Meeresforscher heute in vergleichsweise kurzer Zeit sehr viele Proben analysieren und so haben die zahlreichen Meeresforschungseinrichtungen in Europa bereits enorme genetische Datenmengen aus dem Meer gewonnen, verbunden mit ökologischen Informationen zu den Umweltbedingungen, in denen die analysierten Organismen leben.
Um diesen riesigen „Datenschatz“, speziell Informationen über marine Viren, Bakterien, Archebakterien und anderen Einzeller, für Wissenschaftler weltweit verfügbar zu machen und weiter zu ergänzen, baut das EU-Projekt Micro B3 nun eine integrative Datenbank auf, die den Nutzern zudem neue Auswertungs- und Visualisierungsmöglichkeiten eröffnet. Hierzu hat sich unter der Leitung der Jacobs University ein interdisziplinäres Konsortium aus 32 wissenschaftlichen und Industriepartnern zusammengeschlossen, in dem Spezialisten aus den Bereichen Biologie, Bioprospektion (Suche nach neuen nutzbaren biologischen Substanzen), Biotechnologie, Informatik und Bioinformatik, Ökologie und Meeresforschung sowie Rechtsexperten zur Klärung gesetzlicher Rahmenbedingungen zusammenarbeiten.
„Unser Ziel ist es, ein innovatives Verfahren auf Basis von Open-Source-Software zu entwickeln, bei dem auf transparente und benutzerfreundliche Weise Datengewinnung, -verarbeitung, und die Integration von genetischen und Umweltdatensätzen nahtlos ineinandergreifen, um die riesigen Datensätze von laufenden Probenkampagnen und Langzeitstudien möglichst schnell und reibungslos aufzuarbeiten und verfügbar zu machen“, erläutert Frank Oliver Glöckner, Professor für Bioinformatik an der Jacobs University und Projektkoordinator. „Die von uns angestrebte Form der Datenintegration ist bislang einmalig, ebenso wie die zahlreichen Analyse- und Feedback-Tools, die wir im Servicebereich unserer Plattform zur Verfügung stellen wollen. Hier entsteht ein kollektives Wissen, das auch ganz neue Perspektiven für Modellierung und Ökosystemforschung im Meer eröffnet“, so Glöckner weiter.
Ein wesentliches Ziel von Micro B3 ist es zudem, Gensequenzen der untersuchten Mikroorganismen zu identifizieren, die sich für eine Nutzung im Rahmen der Blauen Biotechnologie eignen, und Experimente zu entwerfen, mit denen die Funktion unbekannter Gen-Sequenzen geklärt werden können. „Wir haben es hier mit einem Forschungsfeld von ungeheurem kommerziellem Nutzungspotenzial zu tun, sei es in der Pharmazeutik, der Materialentwicklung oder der Lebensmittelindustrie. Deshalb müssen wir natürlich auch von Anfang an dafür sorgen, dass rechtlich genau geklärt ist, wer die kollektiv nutzbar gemachten Forschungsergebnisse in welcher Weise verwerten darf – keine triviale Aufgabe!“ so Bioinformatiker Frank Oliver Glöckner. „Besonders in diesem Bereich gilt es, im Rahmen des Projektes für eine gute Aus- und Weiterbildung aller Beteiligten und Nutzer zu sorgen.“
Operativer Start für das Projekt ist die Micro B3-Kick-off-Konferenz vom 1. Bis 3. Februar 2012 auf dem Campus der Jacobs University, an der 70 Wissenschaftler aus 14 Ländern teilnehmen. Wichtigste Partner aus der Bremer Region sind die das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung und die Universität Bremen.