Alter Freund, neuer Feind? Risiko durch Kuhpockenviren für Menschen steigt

16.09.2011 - Österreich

Die echten Pocken, früher eine der für Menschen gefährlichsten Infektionskrankheiten, gelten seit 1979 als ausgerottet. Das ist dem englischen Arzt Edward Jenner zu verdanken, der 1796 erstmals die Impfung mit lebenden Kuhpockenviren durchführte, die Kinder gegen die echten Pocken immun machte. Ein internationales Forschungsteam fand nun heraus, dass die eingesetzten kommerziellen Impfstämme jedoch nicht aus Jenners Heimat England stammen, sondern ihren Ursprung in Zentral- oder Osteuropa haben. Heute werden Kuhpocken besonders bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem wieder zum Problem.

Die Beobachtung, dass Melkerinnen, die sich mit Kuhpocken infizieren, gegen die echten Pocken immun sind, wird dem englischen Arzt Edward Jenner zugeschrieben. Obwohl Jenner wahrscheinlich nicht der erste war, dem dieser Zusammenhang auffiel, nutzte er ihn als Erster: Im Jahr 1796 impfte er Kinder mit Material aus Kuhpockenpusteln und konnte sie damit gegen die echten Pocken immun machen. Seine Arbeit führte direkt zur Entwicklung einer Impfung gegen die Pocken, weniger als 200 Jahre später war die Krankheit ausgerottet. Jenners ursprünglicher Impfstoff stammte vermutlich von einem englischen Stamm der Kuhpocken, daher nahm man bisher an, dass auch die in weiterer Folge verwendeten Impfstämme von dort kamen. Die neuen Ergebnisse eines internationalen Forschungsteams unter Beteiligung der Forschungsgruppe um Norbert Nowotny von der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni Vienna) liefern jedoch deutliche Hinweise darauf, dass die eingesetzten Impfstämme ursprünglich aus Zentral- oder Osteuropa kamen. Diese Arbeit ist nicht bloß von historischem Interesse: Seit in den 1980er Jahren die Impfung gegen die echten Pocken eingestellt wurde, steigen die Infektionen mit verwandten Virusstämmen stetig an. Verschiedene tierische Pockenviren könnten sich zu einer neuen Gesundheitsbedrohung entwickeln.

Viele Tierarten können erkranken

Der Gattung der Orthopoxviren werden die Vacciniaviren, die Variolaviren (die echten Menschenpockenviren), die Kuhpockenviren und zumindest sechs weitere Virusarten zugerechnet. Die verschiedenen Pockenviren sind nach den Wirten benannt, bei denen sie erstmals entdeckt wurden, doch diese Benennungen lassen ein unberechtigtes Gefühl von Sicherheit aufkommen: Die meisten von ihnen scheinen ein breites Wirtsspektrum zu haben. So befallen Kuhpockenviren nicht nur Kühe, sondern eine Reihe von Tierarten wie beispielsweise Mäuse, Katzen, Elefanten und auch den Menschen.

Stammbaum für Kuhpockenviren

Obwohl die Kuhpockenviren diese große Bedeutung in der Humanmedizin haben, hat das Virus selbst bisher wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Daher wurden über die Verwandtschaftsbeziehungen der verschiedenen Kuhpockenvirusarten zueinander bisher nur Vermutungen angestellt. Nun konnte ein internationales Team aus Forschenden unter der Leitung von Darin Carroll an den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta (Georgia, USA) unter Mitwirkung von Norbert Nowotny und Jolanta Kolodziejek von der Vetmeduni Vienna Licht auf diese Verwandtschaftsbeziehungen werfen. Die Wissenschafter verglichen die vollständigen Genomsequenzen von zwölf verschiedenen Isolaten des Kuhpockenvirus mithilfe aufwändiger Computermethoden und erstellten einen Stammbaum der Pockenvirusstämme.

Fünf große Gruppen

Das erste Ergebnis dieser Forschungsarbeit war, dass „die Kuhpocken“ eigentlich aus Viren verschiedener Arten bestehen. Die Forschenden fanden vielfältige Genom-Unterschiede zwischen den untersuchten Viren. Diese lassen sich in fünf größere Gruppen ordnen, die als voneinander getrennte Virusarten betrachtet werden können. Dieses Ergebnis widerspricht bisherigen Annahmen, nach denen Kuhpocken eine Krankheit mit einem einzigen Erreger seien. Das zweite erstaunliche Ergebnis zeigte, dass die Stämme der Kuhpockenviren, die für die Pockenimpfungen verwendet wurden, mit Stämmen aus Russland, Finnland und Österreich eng verwandt sind, aber nicht mit englischen Stämmen. Das heißt, dass die zur Bekämpfung der echten Pocken des Menschen eingesetzten Impfstämme nicht von Edward Jenners ursprünglich verwendetem Kuhpockenvirusstamm herrühren können.

Infektionsraten für Kuhpocken steigen

Der weltweit letzte Fall eines an den echten Pocken erkrankten Patienten trat im Jahr 1977 in Somalia auf. Schon 1979 erklärte die WHO die Krankheit als ausgerottet. Bis heute sind die echten Pocken die einzige Viruskrankheit des Menschen, die global ausgerottet werden konnte. Da die Pocken nicht mehr als Bedrohung gelten und die Impfungen dagegen auch mit einer Reihe unangenehmer Nebenwirkungen einhergingen, fanden die breiten Impfkampagnen in den frühen 1980er Jahren ein Ende. Das bedeutet, dass heute immer weniger Menschen gegen Viren aus der Gattung Orthopoxviren, wie zum Beispiel Affenpocken oder Kuhpocken, immun sind. Als Folge davon treten diese bei Menschen jüngst wieder häufiger auf. Beispielsweise haben seit den 1980ern die Fälle von Affenpocken in der Demokratischen Republik Kongo um das Zwanzigfache zugenommen. Im Jahr 2003 gab es einen ernsten Ausbruch dieser Krankheit in den USA.

Infektion über Katzen möglich

Wie schon Edward Jenner im 18. Jahrhundert feststellte, infizieren sich auch Menschen leicht mit dem Kuhpockenvirus. Seinem Namen zum Trotz kommt das Virus heute praktisch nicht mehr in Rindern vor, dafür aber in Mäusen und Wühlmäusen. Eine an der Vetmeduni Vienna durchgeführte Studie geht davon aus, dass eine von sechs wild lebenden Mäusen Träger des Kuhpockenvirus ist. Von diesen kann es auf Hauskatzen übertragen werden, wenn sie solche Mäuse fangen. „Wir konnten nachweisen, dass das Kuhpockenvirus von den Mäusen über die Katzen auch auf den Menschen übertragen wird“, erklärt Nowotny. Tatsächlich steigen die Infektionsraten für Kuhpocken bei Menschen seit dem Ende der Impfkampagnen gegen die echten Pocken wieder an. Die meisten dieser Fälle treten in Großbritannien auf, gefolgt vom übrigen Europa und auch einem Fall in Israel. Zwar verläuft die Krankheit meist milde, doch Menschen mit geschwächtem Immunsystem sind ernsthaft gefährdet. Nowotny dazu: „Kuhpocken im Labor zu diagnostizieren ist relativ einfach, sowohl bei Tieren als auch beim Menschen. Viele Human- und Tiermediziner kennen diese Krankheit aber kaum und sind sich auch der möglichen Gefährlichkeit nicht bewusst. Da Infektionen mit Kuhpockenviren gehäuft im Herbst auftreten, soll dieser Artikel gerade jetzt sensibilisieren.“

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