1001 Genom-Projekt – auf dem Weg zum kompletten Erbgut-Katalog von Arabidopsis

Dank ihres flexiblen Erbguts kann sich die Pflanze an unterschiedlichste Umweltbedingungen anpassen

30.08.2011 - Deutschland

Menschen können neue Technologien entwickeln und Tiere in andere Regionen abwandern, Pflanzen aber sind an ihren Standort gebunden. Dennoch haben sie Möglichkeiten gefunden, ihr Überleben zu sichern. So auch die Ackerschmalwand, die auf der  gesamten Nordhalbkugel zu finden ist. Wie schafft es diese kleine, unscheinbare Pflanze mit unterschiedlichen Extrembedingungen fertig zu werden? Um das herauszufinden, wurde 2008 das 1001 Genom-Projekt ins Leben gerufen, an dem sich weltweit elf Forschungsinstitute beteiligen. Bei der Untersuchung des Erbguts von etwa hundert Stämmen dieser Pflanze aus verschiedenen Regionen sind Tübinger und Hohenheimer Forscher auf eine immense Zahl von Variationen gestoßen: Neben Millionen kleiner Unterschiede, die zu molekular variierenden Genprodukten führen, fanden sie Hunderte von Genen, die in manchen Stämmen fehlen oder in anderen zusätzlich vorkommen. Es ist vermutlich diese große Flexibilität des Erbmaterials, das diese Pflanzen besonders anpassungsfähig macht. Der komplette Katalog der Genom- und Genproduktvariationen einer Art kann mittelfristig Anwendung in der modernen Pflanzenzüchtung finden.

© Jun Cao/MPI f. Entwicklungsbiologie

Verbreitungskarte der Arabidopsis thaliana. Orange markiet sind die Orte an welchem für diese Studien Arabidopis Pflanzen entnommen wurden.

© Detlef Weigel/MPI f. Entwicklungsbiologie

Verschiedene Mutanten von Arabidopsis thaliana.

© Jun Cao/MPI f. Entwicklungsbiologie
© Detlef Weigel/MPI f. Entwicklungsbiologie

Welche Gene und Genvarianten erlauben es Individuen ein und derselben Art, unter ganz unterschiedlichen Umweltbedingungen zu gedeihen? Die Modellpflanze der Genetik, die Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana, eignet sich besonders gut für die Untersuchung dieser Frage. Sie kommt mit der Hitze und Trockenheit im Norden Afrikas ebenso gut zurecht wie mit der Kälte im zentralasiatischen Hochland oder den gemäßigten Zonen in Europa. Mal ist es eine großblättrige Pflanze, mal ist sie klein und zierlich, doch immer ist es die gleiche Art. Die Antwort liegt ohne Zweifel in der Vielfalt des Erbguts. Forscher um Detlef Weigel und Karsten Borgwardt vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Gunnar Rätsch vom Friedrich-Miescher-Laboratorium in Tübingen sowie Karl Schmid von der Universität Hohenheim haben jetzt zusammen mit einem internationalen Team das Genom von verschiedenen Ackerschmalwand-Stämmen aus ganz Europa und Asien sequenziert. Um die Auswirkung von geographischen Entfernungen auf die Gene zu enthüllen, wählten sie zum einen Individuen aus, die ganz in der Nähe wachsen – beispielsweise im schwäbischen Neckartal – sowie Pflanzen, die an entgegengesetzten Enden des Verbreitungsgebiets vorkommen, wie Nordafrika oder Zentralasien.

Durch die nahezu vollständige Aufklärung von 100 Genomen dieser einen Pflanzenart sollen grundlegende Erkenntnisse über die Evolution gewonnen werden – die Forscher sehen darin den Aufbruch in eine neue Ära der Genetik. Tausende von Proteinen unterscheiden sich in Form und Aktivität in den verschiedenen Arabidopsis-Stämmen. Darüber hinaus fanden die Wissenschaftler mehrere Tausend Fälle von zusätzlichen Genkopien und Genverlusten, aber auch neue Gene, die bisher nur in anderen Pflanzenarten zu finden waren. „Aus unseren Ergebnissen wurde eindrucksvoll deutlich, wie ausgeprägt die genetische Variabilität ist“, sagt Jun Cao vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie und Erstautor einer der Studien. Karl Schmid von der Universität Hohenheim setzt hinzu: „Die Anpassung durch neu entstandene Mutationen ist sehr selten. Viel wichtiger ist die Neukombination bereits vorhandener Varianten. Mit der Information von über hundert Genomen können wir nicht nur Aussagen über diese hundert Individuen treffen, sondern haben damit auch den Grundstein gelegt, um vorherzusagen, welches genetische Potenzial durch Kreuzungen verschiedener Individuen geweckt werden kann.“

Die Genetiker um Detlef Weigel, Karsten Borgwardt und Karl Schmid fanden auch heraus, dass sich die Anzahl der genetischen Variationen in den einzelnen Regionen des Verbreitungsgebiets stark unterscheidet. Die größte genetische Vielfalt fanden die Forscher auf der Iberischen Halbinsel, wo die Art schon sehr lange vorkommt. In Zentralasien, das erst nach der letzten Eiszeit besiedelt wurde, haben die Arabidopsis-Pflanzen vergleichsweise einheitliche Genome. Diese enthalten zudem überdurchschnittlich viele Mutationen, die mit Nachteilen für die Pflanze verbunden sind, weil sie etwa die Funktion von Proteinen verändern. Normalerweise entfernt die natürliche Selektion diese Mutationen im Lauf der Zeit, aber in jungen Auswandererpopulationen sind sie durch zufällige Evolution angereichtert. Herauszufinden wie Pflanzen und ihre Genome sich an ihre Umgebung anpassen, ist wie ein Puzzle zusammenzusetzen“, erklärt Jun Cao. „Wir müssen alle Stücke sammeln, bevor wir sie aneinanderfügen können.“ Die Wissenschaftler haben es geschafft, einen nahezu kompletten Katalog der Genomvariationen einer Art zu erstellen.

Zusammenspiel der Gene

Wie jedoch diese Variationen auf molekularer Ebene zusammenwirken und zu welchen Veränderungen sie in Genprodukten führen, wurde detailliert vom Bioinformatiker Gunnar Rätsch am Friedrich-Miescher-Laboratorium und internationalen Kollegen in einer zweiten Studie untersucht. Sie analysierten 19 Arabidopsis-Stämme mit besonders großer genetischer Variabilität. Diese 19 Individuen bildeten den Grundstock für eine künstliche Population von mehreren Hundert Stämmen, die durch mehrfache Kreuzungen entstanden ist. Dabei werden systematisch verschiedene Genomstücke zusammengewürfelt. In den entstandenen Individuen lässt sich das Zusammenspiel der Gene besonders gut untersuchen.

Die Wissenschaftler haben diese Genomstücke mithilfe neuartiger Analysemethoden untersucht und herausgefunden, wie die DNA im Einzelnen abgelesen und in die Zwischenstufe der Proteinherstellung, die RNA, umgesetzt wird. Dabei fielen ihnen Genabschnitte auf, die abhängig vom genomischen Kontext stillgelegt oder reaktiviert wurden. „Im einzelnen Gen finden in kurzer Zeit überraschend viele Veränderungen statt. Sie werden aber häufig insgesamt wieder kompensiert, so dass zunächst von außen nahezu keine Auswirkungen zu erkennen sind“, fasst Gunnar Rätsch die neuen Ergebnisse zusammen. Die Konzepte, Methoden und Plattformen, die auf Basis der Genomvariationen von Arabidopsis entwickelt werden, können auch verwendet werden, um Nutzpflanzen zu erforschen und einer schnellen, exakten Zuordnung und Kartierung von wünschenswerten Eigenschaften in Pflanzen dienen. Darüber hinaus können Forscher die Erkenntnisse über den Einfluss von Variationen auf die Genprodukte und ihr Zusammenwirken auch auf Untersuchungen am menschlichen Genom übertragen.

Die neuen Arbeiten sind auch im Rahmen des 1001 Genom-Projekt zu sehen. Das Projekt wurde 2008 vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie ins Leben gerufen und wird in Kooperation mit zehn weiteren Instituten weltweit in vielen Einzelprojekten umgesetzt. Ziel ist die Analyse und der Vergleich der Gene von 1001 verschiedenen Arabidopsis-Stämmen. In dem Großprojekt sollen grundlegende Erkenntnisse über die Evolution, über die Genetik und über molekulare Mechanismen gewonnen werden. Fast 500 Genome wurden an den unterschiedlichen Instituten bereits sequenziert und analysiert. Die Daten werden in eine öffentliche Datenbank eingespeist und können so nicht nur den Kooperationspartnern, sondern allen interessierten Wissenschaftlern als Quelle dienen.

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