PID-Debatte mit ungewohnten Bekenntnissen im Bundestag

Beim heiklen Thema PID greifen viele Parlamentarier auf persönliche Erfahrungen zurück

08.07.2011 - Deutschland

(dpa) Es war ein Ringen bis zum Schluss - mit Gefühlen, Eindrücken und Bekenntnissen: Der Bundestag gab am Donnerstag grünes Licht für die weitere Nutzung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID). Gentests an im Reagenzglas erzeugten Embryonen bleiben grundsätzlich erlaubt - so wie dies der Bundesgerichtshof im Juni 2010 entschieden hatte. Allerdings werden nunmehr im neuen Gesetz besondere Voraussetzungen dafür verlangt.

Frei von Fraktionszwängen, mit gegenseitigem Respekt und ohne Schuldzuweisungen hatten zuvor die Parlamentarier vier Stunden lang über eine gesetzliche PID-Regelung gestritten. Dabei waren die Argumente in mehrmonatigen Diskussionen längst alle ausgetauscht. Ein überraschend großer Abgeordnetenkreis blieb jedoch bis zur Endabstimmung unentschlossen.

Mit ungewohnt persönlichen Bekenntnissen und Aussagen versuchten Gegner wie Befürworter diese Unentschiedenen zu gewinnen - auch wenn das Plenum streckenweise nur zu einem Drittel besetzt war. Mit tränenerstickter Stimme warb etwa der Linken-Abgeordnete Steffen Bockhahn für die Zulassung. Er selbst sei «der glücklichste Vater der Welt - auch ohne PID». Dieses Glück, «das ich jetzt mit meiner Frau teilen kann», sollten auch andere haben können - selbst wenn sie wegen möglicher Erbkrankheiten vor einer Schwangerschaft zurückschreckten.

Bei ihrem eindringlichen Plädoyer für ein PID-Verbot bekannte hingegen die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, sie habe «lange einen unerfüllten Kinderwunsch gehabt». Falsch sei die Behauptung, PID-Gegner hätten kein Verständnis für Paare in schwierigen Lebenslagen. Nahles warnte vor einer «genetischen Qualitätskontrolle». Wenn künftig eine Mutter ein behindertes Kind zur Welt bringe, dürfe der Vorwurf, «Haben Sie sich denn zuvor nicht genetisch beraten lassen», nicht zur Standardfrage werden.

Mit bewegter Stimme verwies PID-Gegner Rudolf Henke (CDU) auf das Schicksal seines Bruders, der keine fünf Stunden gelebt habe. «Ich erinnere mich an Besuche jahrzehntelang am Grab.» Andere sprachen ebenfalls immer wieder von Gesprächen und Erlebnissen mit betroffenen Eltern, die Totgeburten durchlitten, ein behindertes Kind pflegten oder in Sorge seien, ein weiteres zu bekommen.

Auch Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) gab persönliche Einblicke in ihre Erfahrungen: Als junge Ärztin auf der Geburtsstation habe sie nach acht Jahren Medizinstudium geglaubt, alles zu wissen. «Aber die Wucht des Schicksals rund um Schwangerschaft und Geburt haben mich still werden lassen», sagte die Mutter von sieben Kindern und warb für die PID-Zulassung. Auf den Eltern laste «die Verantwortung vor Gott, die Verantwortung vor dem ungeborenen Leben und die Verantwortung vor den eigenen Kindern». Sie appellierte: «Trauen wir den Menschen, den Eltern etwas zu.»

Die Initiatorin des erfolgreichen Entwurfs für die PID-Zulassung, Ulrike Flach (FDP), sieht in dem neuen Gesetz keinen ethischen Dammbruch in Deutschland. Auch andere EU-Staaten gingen behutsam und verantwortungsbewusst mit den neuen Erkenntnissen der medizinischen Forschung um. Und schließlich hätten auch Ärtztetag und ethische Beiräte für eine begrenzte PID-Zulassung plädiert. Der querschnittsgelähmte Abgeordnete Ilja Seifert (Linke) befürchtete dagegen, die Gentests könnten «Menschen verhindern, die anders sind».

Experten schätzen, dass derzeit 100 bis 200 deutsche Paare pro Jahr die PI-Diagnostik erwägen - zum Teil im Ausland. Diese Methode war noch unbekannt, als der Bundestag vor zwei Jahrzehnten das strenge deutsche Embryonenschutzgesetz beschloss - ebenfalls nach einem fraktionsübergreifenden Kompromiss.

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