Lübeck rückt ins Zentrum der EHEC-Ermittler

04.06.2011 - Deutschland

(dpa) Der aggressive Darmkeim EHEC könnte einen Ursprung in Lübeck haben. EU-Experten warten auf Testergebnisse aus einem Restaurant in der Hansestadt, das bereits von Kontrolleuren untersucht wurde. Bundesweit gibt es inzwischen rund 2500 Menschen, bei denen der Durchfallerreger EHEC vermutet wird oder bereits nachgewiesen wurde. 17 Patienten hätten sich möglicherweise in der Gaststätte infiziert, berichteten die «Lübecker Nachrichten» (Samstag) unter Berufung auf das Kieler Verbraucherschutzministerium.

Am Samstag ruderte das Ministerium jedoch wieder zurück und bezeichnete den Bericht als überzogen. «Wir haben keine heiße Spur», sagte Ministeriumssprecher Christian Seyfert der Nachrichtenagentur dpa. Untersuchungsergebnisse des zuständigen Robert Koch-Instituts (RKI) lägen bislang nicht vor. Eine RKI-Sprecherin bestätigte, dass ein Team zu Kontrollen in Lübeck war.

Laut «Lübecker Nachrichten» sollen sich mehrere Teilnehmer einer dänischen Besuchergruppe in dem Restaurant infiziert haben. Auch 30 Frauen einer Gewerkschaft hatten das Lokal Mitte Mai besucht. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, sagte der Zeitung: «Bislang wissen wir von acht, teilweise sehr schweren Fällen. Eine Teilnehmerin aus Nordrhein-Westfalen ist verstorben.»

Selbst mehrere Wochen nach einer EHEC-Infektion könne der gefährliche Darmkeim an einer Quelle noch nachgewiesen werden, erklärte der Vorsitzende des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure, Martin Müller. Solange die Umgebung das Wachstum eines Erregers begünstige, sei er nachweisbar. Die in Verdacht geratenen Räumlichkeiten würden nun komplett untersucht.«Hier wird wirklich akribisch, detektivisch jede Schublade, jede Gabel, jedes Lebensmittel einmal umgedreht.»

Vermutungen, nach denen Großveranstaltungen wie der Hamburger Hafengeburtstag als Ausbreitungsort für die EHEC-Welle infrage kommen, wiesen die Behörden am Samstag zurück. Die Hamburger Gesundheitsbehörde berichtete auf Nachfrage, RKI-Experten hätten bereits vor zehn Tagen das Hafenfest als Auslöser der EHEC-Welle ausgeschlossen. Auch das RKI betonte, «Pressemeldungen, wonach EHEC-Infektionen mit Großveranstaltungen in Verbindung gebracht werden, decken sich nicht mit den Erkenntnissen des RKI und stehen im Widerspruch zu dem epidemiologischen Profil des Ausbruchs».

Die EU-Kommission will Deutschland bei der Suche nach dem EHEC-Ausbruchsort helfen und künftig stärker zusammenarbeiten. EU-Gesundheitskommissar John Dalli bot an, EU-Experten zu schicken. Außerdem soll eine eigene EHEC-Internetplattform bis Montag auf die Beine gestellt werden, über die Behörden gezielt Informationen austauschen können. Unter anderem sollen zudem Hinweise auf Behandlungsformen vom RKI ins Englische übersetzt und den EU-Staaten bereitgestellt werden. Der Ausbruch soll am Montag auch eines der Themen beim Treffen der EU-Gesundheitsminister in Luxemburg werden.

Bundesweit stieg die Zahl der EHEC-Infektionen am Wochenende weiter. Allein in Niedersachsen wurden am Samstag 458 Fälle und Verdachtsfälle gezählt - 40 mehr als am Vortag. Mindestens 520 Patienten leiden im ganzen Land an dem lebensgefährlichen HU-Syndrom (HUS). Daran sind in Deutschland mindestens 18 Menschen gestorben.

Unter führenden Wissenschaftlern ist inzwischen Streit über das Krisenmanagement ausgebrochen. Der Ärztliche Direktor der Berliner Charité kritisierte die Arbeit des RKI. Das Universitätsklinikum habe erst in dieser Woche Fragebögen für die Patienten bekommen, sagte Ulrich Frei dem «Tagesspiegel» (Samstag). «Das reicht nicht. Man hätte die Patienten interviewen sollen.» Es sei zudem nicht erkennbar, was das RKI erarbeite.

«Wir brauchen eine bessere Informationspolitik», forderte Frei. Dass sich der EHEC-Erreger seit Anfang Mai ausbreite, außer Gurken aus Spanien aber keine mögliche Quelle ermittelt worden sei, mache ihn unruhig.

Laut «Tagesspiegel» wies eine RKI-Sprecherin die Vorwürfe zurück. Das Institut habe nach Ausbruch des Darmkeims zügig reagiert. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert die Einrichtung eines zentralen EHEC-Krisenstabs im Bundesgesundheitsministerium. Bislang seien die Zuständigkeit etwa zwischen Gesundheitsämtern, Kliniken und dem Robert Koch-Institut nicht klar genug geregelt, sagte Lauterbach der in Berlin erscheinenden «BZ am Sonntag». Bei der Einfuhr in die USA werden aus Sicherheitsgründen Tomaten, Gurken und Salat aus Deutschland und Spanien streng kontrolliert.

Russland hatte den Import von Gemüse aus der EU komplett gestoppt. In Italien gibt es mittlerweile einen ersten EHEC-Verdachtsfall. Ein deutscher Tourist leide an einer schweren Durchfallerkrankung. Nach Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation gibt es EHEC-Infektionen zudem in Österreich, Tschechien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Spanien, Schweden, Schweiz, Großbritannien und den USA.

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