Schnellaufbau der Immunabwehr geklärt

07.02.2011 - Deutschland

Einen wichtigen Fortschritt im Verständnis des Immunsystems hat ein internationales Forscherteam um Professor Dr. Matthias Gunzer vom Institut für Molekulare und Klinische Immunologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erzielt. Die Wissenschaftler konnten erstmals zeigen, wie Zellen der körpereigenen Abwehr massenweise aus dem Knochenmark ausgeschwemmt werden und damit die Immunabwehr stärken. Videosequenzen zeigen die Mobilisierung der sogenannten neutrophilen Granulozyten.

Gunzer/Köhler: Universitätsklinikum Magdeburg

Der Wachstumsfaktor G-CSF bewirkt die Mobilisierung von Zellen des Immunsystems. Das belegen die mikroskopischen Videosequenzen von Immunologen des Magdeburger Universitätsklinikums. Zu sehen sind in der oberen Reihe grün gefärbte neutrophile Granulozyten im Knochen. Die Blutgefäße sind rot und die harte Knochensubstanz braun. In der unteren Reihe sind die gleichen Zellen so dargestellt, dass man erkennen kann, ob sie sich bewegen oder nicht. Weiße Zellen sind unbewegt, bunte Zellen haben sich bewegt. Man erkennt, dass sich nach der Zugabe von G-CSF die Granulozyten deutlich mehr bewegen als unter Kontrollbedingungen. Dies ist die Ursache für ihre Mobilisierung aus dem Knochenmark ins Blut.

Hintergrund der Forschung

Wie schon Goethe in seinem Roman „Faust“ zu berichten wusste, ist Blut ein „ganz besonderer Saft“. Er besteht aus unterschiedlich spezialisierten Zellen, die ständig erneuert werden. Ein Großteil dient der Abwehr krankmachender Bakterien. In vorderster Abwehrlinie stehen die sogenannten neutrophilen Granulozyten. Sie entstehen aus unspezialisierten Vorläuferzellen (Stammzellen) des Knochenmarks und werden beim Kontakt mit Krankheitserregern massenweise in das Blut ausgeschüttet. Mit dem Blutstrom wandern sie in das infizierte Gewebe und bekämpfen die Erreger. Der Vorgang, den die Wissenschaftler als „Mobilisierung“ bezeichnen, wird durch einen körpereigenen Wachstumsfaktor mit dem etwas sperrigen Namen „Granulocyten-Koloniestimulierender Faktor“ - kurz G-CSF - ausgelöst.

Nützlich in der Chemotherapie

Dieses Wissen nutzen Mediziner seit etwa zwei Jahrzehnten u.a. in der Chemotherapie von Erkrankungen des Blutes und der blutbildenden Organe (akute Leukämien, Morbus Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphome), sowie von bestimmten Tumoren (z.B. Mammakarzinom, Hodenkrebs und Weichteilsarkomen).
Die in der Chemotherapie eingesetzten Medikamente (Zytostatika) zerstören alle Zellen, die sich schnell teilen. Leider sind das nicht nur die zu bekämpfenden Krebszellen, sondern auch Zellen des blutbildenden Systems, die u.a. für die Immunabwehr wichtig sind. Um die Zeit hoher Infektanfälligkeit während einer Chemotherapie so kurz wie möglich zu halten, stimulieren die Mediziner die Granulozyten-Neubildung mit gentechnisch hergestellten Medikamenten, die mit dem körpereigenen Wachstumsfaktor G-CSF nahezu identisch sind. Der Erfolg dieser Behandlung steht inzwischen außer Frage. „Doch konnte er bislang leider nicht bis ins Detail geklärt werden“, so Professor Gunzer. „Ungeklärt war bislang, wie die Granulozyten durch G-CSF aus dem Knochenmark ausgeschwemmt werden und die Immunabehr stärken“.

Die neuen Erkenntnisse

Das konnte die Forschergruppe jetzt u.a. mit Hilfe moderner Bildgebungstechniken wie der sogenannten 2-Photonen-Mikroskopie aufklären. Den Immunologen der Universität in Magdeburg gelang es, die Bewegung neutrophiler Granulozyten im Knochenmark im lebenden Organismus zu beobachten. „Wir konnten zeigen, dass die neutrophilen Granulozyten normalerweise relativ ruhig im Knochenmark umherlaufen. Sobald aber G-CSF eintrifft, werden sie rasend schnell und beginnen, massiv in die Blutgefäße, die reichlich im Knochen vorhanden sind, einzuwandern“, so der Magdeburger Immunologe Professor Gunzer.

Die Forscher konnten zeigen, dass die durch den Wachstumsfaktor G-CSF vermittelte Mobilisierung der Granulozyten im Knochenmark von einem komplexen Mechanismus ausgelöst wird, bei dem mehrere chemische Botenstoffe kaskadenartig produziert werden und schließlich CXCR2, einen wichtigen Rezeptor auf der Oberfläche von neutrophilen Granulozyten stimulieren. Dieser führt dazu, dass die vormals ruhenden neutrophilen Granulozyten plötzlich extrem wandern. Der gleiche Rezeptor führt außerdem dazu, dass neutrophile Granulozyten zielgerichtet in infizierte Gewebe einwandern können, um zum Beispiel Infektionen zu bekämpfen.

Nutzen der Forschungsergebnisse

Die wissenschaftlichen Ergebnisse können nicht nur die Befunde aus der klinischen Praxis erklären, sondern in Zukunft vielleicht auch dazu beitragen, die Chemotherapien unter Einsatz von G-CSF weiter zu verbessern, hoffen die Forscher.

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Heiß, kalt, heiß, kalt -
das ist PCR!