Der Wasserfloh besitzt erheblich mehr Gene als der Mensch und reagiert flexibel auf seine Umwelt
Dr. Jan Michels, Univ. Kiel
Der Süßwasserkrebs Daphnia pulex, nur wenige Millimeter klein, ist ein wesentlicher Bestandteil der Nahrungskette in aquatischen Ökosystemen. Wegen seiner Besonderheiten im Körperbau und bei der Fortpflanzung wird der Wasserfloh seit langem erforscht.
Als Schutz vor Fraßfeinden bilden Daphnien an ihren Köpfen Strukturen aus, die an Dornenkronen erinnern. Sie reagieren damit auf chemische Signale, die von räuberischen Krebsen abgegeben werden. Die Vermehrung der Wasserflöhe erfolgt überwiegend ungeschlechtlich. Weibchen können bis zu 70 Jungferneier bilden, aus denen wiederum nur Weibchen hervorgehen. Unter ungünstigen Umweltbedingungen stellen sie jedoch auf sexuelle Fortpflanzung um.
Diese interessanten Aspekte der Ökologie und Stressbiologie veranlassten John Colburne (Indiana Universität Bloomington, USA), das Daphnia Genom-Konsortium zu gründen. Der Biologe Daniel Gerlach war während seiner Dissertation an der Universität Genf in ein Teilprojekt der Genom-Entschlüsselung eingebunden. Mit bioinformatischen Methoden konnte er einen Großteil der microRNA-Gene von Daphnia vorhersagen. Diese kurzen RNA-Gene enthalten selbst keine Protein-Baupläne sondern steuern die Aktivität anderer Gene. Gerlach setzt seine Forschungstätigkeit nun in der Arbeitsgruppe von Alexander Stark am IMP fort.
Das Projekt Daphnia Genom wurde mit der Erwartung gestartet, unter natürlichen Umweltbedingungen zahlreiche neue Genfunktionen zu entdecken. In ihrer abschließenden Arbeit warten die Forscher jedoch mit weit mehr Überraschungen auf: Im Erbgut des Wasserflohs wurden 31.000 Gene ausgemacht – Menschen besitzen nur etwa 23.000. Die hohe Zahl kommt zustande, weil sich Daphnien-Gene häufig verdoppeln. Die entstandenen Genkopien übernehmen rasch neue Funktionen. Auch bei anderen Organismen kommt es zu solchen Duplizierungen, doch die „Geburtenrate“ für neue Gene liegt bei Daphnia wesentlich höher, etwa 30 Prozent über der menschlichen.
Eine weitere Besonderheit: mehr als ein Drittel der Wasserfloh-Gene sind für die Forscher völlig neu. Sie wurden noch bei keinem anderen Lebewesen beschrieben und ihre Funktion ist weitgehend unbekannt. Vieles deutet darauf hin, dass diese Gene mit ökologischen Anpassungsmechanismen zusammenhängen und als Reaktion auf Umweltstress entstanden sind.
Eine Konsequenz aus dieser Entdeckung ist die Erkenntnis, dass biologische Modellorganismen, die unter konstanten Laborbedingungen gehalten werden, nicht die gesamte Palette ihrer Genfunktionen preisgeben. Eine neue Disziplin – Umweltgenomik – scheint vonnöten, und Daphnia könnte ihr ideales Studienobjekt sein.
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