Krebsmedikament begünstigt die Regeneration von Rückenmarksverletzungen
Taxol stabilisiert auswachsende Nervenzellen und verringert die Barriere des Narbengewebes
© MPI für Neurobiologie / Bradke & Hellal
Querschnittslähmung – das ist meist die unheilbare Folge, wenn Nervenstränge im Rückenmark stark gequetscht oder durchtrennt werden. Denn anders als zum Beispiel bei einem Schnitt in den Finger wachsen Nervenzellen im Zentralen Nervensystem (ZNS) nach einer Verletzung nicht wieder aus. Seit vielen Jahren arbeiten Wissenschaftler weltweit daran, den Grund für diesen Unterschied zu verstehen. Mittlerweile ist klar, dass ganz unterschiedliche Faktoren beim Wachstumstopp der Nervenzellen eine Rolle spielen. So fanden die Wissenschaftler verschiedene Stoffe im Umfeld der verletzten ZNS-Nervenzellen, die eine Art Stoppsignal für ein erneutes Auswachsen darstellen. Doch auch das Zellskelett, bestehend aus kleinen Proteinröhrchen, den Mikrotubuli, gerät in den verletzten Zellenden völlig durcheinander. Dies verhindert ebenfalls ein erneutes Wachsen der Zellen. Und nicht zuletzt verhindert das Narbengewebe, das sich nach einer Verletzung im Rückenmark bildet, dass die Nervenzellen ihre ehemaligen Anknüpfungsstellen wieder erreichen.
Zwei Mitspieler der Regeneration
Am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried untersuchen Frank Bradke und sein Team die zellinternen Mechanismen, die für den Wachstumsstopp der Nervenzellen verantwortlich sind: "Wir wollen die Zellen dazu bringen, weiterzuwachsen und die 'Stoppzeichen' in ihrer Umgebung zu ignorieren." Dabei konzentrierten sich die Neurobiologen auf die Rolle der Mikrotubuli. Diese Proteinröhrchen sind an der Spitze einer auswachsenden Nervenzelle parallel angeordnet. Sie stabilisieren die wachsende Zelle und fördern ihr Wachstum, indem sie das Zellende aktiv vorwärts schieben. Ganz anders also als bei verletzten ZNS-Nervenzellen. Wie kann also die Ordnung der Mikrotubuli in diesen Zellen behalten oder wiederhergestellt werden? Und wenn die Zellen einmal wachsen, wie können sie die Mauer aus Narbengewebe überwinden? Zusammen mit ihren Kollegen vom Kennedy Krieger Institut und der Universität Miami in den USA sowie von der Universität Utrecht in den Niederlanden fanden die Max-Planck-Forscher nun gleich für beide Probleme eine Lösung.
Neue Funktion eines bewährten Medikaments
Wie die Wissenschaftler in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Science berichten, fördert das unter dem Handelsnamen Taxol vertriebene Krebsmedikament die Regeneration verletzter ZNS-Nervenzellen auf zwei Arten: Taxol stabilisiert die Mikrotubuli, sodass ihre Ordnung bestehen bleibt und eine verletzte Nervenzelle wieder auswachsen kann. Zudem verhindert Taxol die Bildung eines hemmenden Stoffs im Narbengewebe. Zwar wird das Narbengewebe noch gebildet und kann seine Schutzfunktion übernehmen. Es ist jedoch schwächer ausgeprägt und für wachsende Nervenzellen deutlich einfacher zu überwinden. "Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein kleiner Durchbruch", so Bradke.
Die Wirkung von Taxol konnten die Forscher in Versuchen an Ratten bestätigen. Nach einer teilweisen Verletzung von Nervenzellen im Rückenmark wurde mit Hilfe einer kleinen Gewebepumpe die betroffene Stelle mit Taxol versorgt. Bereits nach einigen Wochen zeigten die Tiere eine deutliche Verbesserung in ihrem Laufverhalten. "Bisher haben wir die Wirkung von Taxol direkt nach einer Verletzung getestet", so Farida Hellal, die Erstautorin der Studie. "Als nächstes wollen wir untersuchen, ob Taxol seine Wirkung auf das Narbengewebe auch dann noch entfalten kann, wenn wir es mehrere Monate nach einer Verletzung hinzugeben."
Vorsichtige Hoffnung
Dass ein bereits zugelassenes Medikament diese Wirkung zeigt, hat verschiedene Vorteile, denn es ist bereits viel über das Verhalten von Taxol im menschlichen Körper bekannt. Da für die Behandlung von Rückenmarksverletzungen deutlich niedrigere Taxol-Mengen als bei der Krebstherapie benötigt werden und nur direkt an die Verletzungsstelle gegeben werden, sollten die Nebenwirkungen geringer ausfallen. "Wir befinden uns jedoch noch im Stadium der Grundlagenforschung und es müssen noch verschiedene Hürden und später die vorklinischen Tests an anderen Instituten durchlaufen werden", gibt Bradke zu bedenken. "Ich glaube aber, dass wir hier auf einem vielversprechenden Weg sind."