Schneller Code für Gerüche entdeckt
Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen haben herausgefunden, wie das Gehirn im Bruchteil einer Sekunde Duftstoffe unterscheiden kann
Über die Sinne wahrnehmen ist ein schneller Prozess. Ein Blick genügt, um eine komplexe Szene visuell zu erfassen. Ohne die Fähigkeit des Ohres, Signale zeitlich enorm aufzulösen, wäre ein Verständnis von Sprache und Musik gar nicht möglich. Aber nicht nur der Hör- und Sehsinn zeichnen sich durch schnelle Reaktionen aus. Neuere Studien zeigen: Auch Gerüche können Mensch und Tier in weniger als einer Sekunde erkennen.
Wissenschaftler aus der Universitätsmedizin Göttingen haben nun herausgefunden, welchen neuronalen Mechanismus das Gehirn nutzt, um sehr schnell auf Gerüche reagieren zu können. Sie konnten nachweisen: Die Information über einen Duftstoff ist schon in der zeitlichen Abfolge der jeweils ersten neuronalen Impulse einer Population von Neuronen enthalten. Die Forschungsergebnisse hat Dr. Stephan Junek im Rah-men seiner Doktorarbeit gewonnen. Die Untersuchungen dazu fanden im Labor von Prof. Dr. Dr. Detlev Schild, Direktor der Abteilung Neurophysiologie und Zelluläre Bio-physik, Universitätsmedizin Göttingen, statt. Beide Wissenschaftler sind an der Uni-versitätsmedizin Göttingen, am Bernstein Center Computational Neuroscience (BCCN) Göttingen und am DFG-Forschungszentrum Molekularphysiologie des Ge-hirns (CMPB) tätig.
Damit wir unsere Umwelt wahrnehmen können, muss jeder Sinneseindruck im Gehirn in Aktivität von Nervenzellen übersetzt werden. Die Göttinger Wissenschaftler haben untersucht, auf welche Weise die Information über Gerüche im räumlich-zeitlichen Muster der entsprechenden Nervenimpulse enthalten ist. Kommt es auf die Zahl der neuronalen Impulse an, die jede Zelle aussendet? Oder auf das genaue Timing einzelner Impulse? Dazu haben sie die Vorgänge bei der Kaulquappe näher unter die Lupe genommen. Sie untersuchten die neuronale Aktivität des „Riechkolbens“. Dies ist die Gehirnregion, die für die Verarbeitung von Informationen für den Geruchssinn zuständig ist. Dabei konzentrierten sie sich auf die „früheste“ Information, die jedes Neuron übermittelt, nämlich den Zeitpunkt des ersten neuronalen Impulses nach Gabe des Duftstoffes, die so genannte Erstspike-Latenz.
Die Wissenschaftler präsentierten dem Geruchssystem eine Vielzahl von Reizen und analysierten die gemessenen Zeiten bis zum ersten „Feuern“ der Nerven (so genannte „Erstspike-Latenzen“) mithilfe zeitlich hochauflösender optischer Messungen in dutzenden Nervenzellen gleichzeitig. Es zeigte sich, dass bestimmte Duftstoffe jeweils ein für sie charakteristisches Verzögerungsmuster hervorrufen. In einem nächsten Schritt konnten die Forscher zeigen, dass es auch möglich ist, einzig auf Grund des gemessenen Musters auf den Duftstoff zurückzuschließen. Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass Verzögerungsmuster wesentlich dafür sind, um Gerüche sehr schnell erkennen zu können.
„Bisher war es herrschende Meinung unter Neurowissenschaftlern, dass andere Aspekte neuronaler Aktivität – und nicht die „Erstspike-Latenzen“ – den Code im Gehirn darstellen", sagt Prof. Detlev Schild. „Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Duftinformationen in den Latenzen der Nervenzellen im Riechkolben enthalten sind. Damit stellen sich nun eine Reihe neuer Fragen. Vor allem gilt es herauszufinden, wie nachgeschaltete Hirnregionen den Latenz-Code verstehen können.“
Originalveröffentlichung: Stephan Junek, Eugen Kludt, Fred Wolf and Detlev Schild. "Olfactory coding with pat-terns of response latencies."; Neuron, Volume 67, Issue 5, 872-884, 2010.
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