Wissenschaftler entschlüsseln Genom eines essbaren Hutpilzes

Göttinger Forscher definieren Gene für Entwicklungsprozesse des Pilzes

30.06.2010 - Deutschland

Eine internationale Forschergruppe mit Beteiligung der Universität Göttingen hat zum ersten Mal das Genom eines essbaren Hutpilzes entschlüsselt. Der Wollstielige Mist-Tintling (Coprinopsis cinerea), auch Struppiger Tintling genannt, wächst in der Natur bevorzugt auf Pferdemist und Agrarabfällen. Im Mittelalter nutzte man seine Sporen als Tinte, heute wird er beispielsweise in Thailand als Delikatesse gezüchtet. Der Pilz verfügt über rund 12.000 verschiedene sexuelle „Geschlechter“ (sogenannte Kreuzungstypen), die eine Fortpflanzung mit fast allen anderen Individuen seiner Art ermöglichen. In der Natur einmalig ist außerdem die Tatsache, dass während der Fortpflanzung die Prozesse der Zellkernverschmelzung, Zellkernteilung und der Sporenbildung synchron verlaufen. Ein kleines Lichtsignal reicht aus, um die Vorgänge in rund 100 Millionen Zellen gleichzeitig anzustoßen und quasi über Nacht ablaufen zu lassen. Das amerikanische Broad Institute in Cambridge, eine gemeinsame Einrichtung der Universität Harvard und des Massachusetts Institute of Technology, hatte das Genom des Pilzes für die weitere Untersuchung des Forscherteams erstellt.

Uni Göttingen

Coprinopsis cinerea

An der Universität Göttingen waren zwei Arbeitsgruppen unter der Leitung von Prof. Dr. Ursula Kües und Dr. Mario Stanke an den Untersuchungen beteiligt. Eine entscheidende Rolle bei der Identifikation der insgesamt rund 13.300 Gene des Pilzes und ihrer Struktur in der DNA spielte das Computerprogramm Augustus, das Dr. Stanke am Institut für Mikrobiologie und Genetik entwickelt hatte. Die Arbeitsgruppe von Prof. Kües am Büsgen-Institut analysierte die zahlreichen Kreuzungstyp-Gene des Genoms, die für die Koordination der sexuellen Entwicklungsprozesse zuständig sind. Einige der Gene sind verantwortlich für die Regulation der sexuellen Entwicklung des Pilzes einschließlich der Fruchtkörperbildung, andere für ein Signalsystem aus Botenstoffen (Pheromonen) und ihren Rezeptoren.

Darüber hinaus könnten die Forschungsergebnisse Folgen für verschiedene Wirtschaftszweige haben. So verfügt der Tintling über eine Familie von 34 Genen zur Bildung von Hydrophobinen. Diese Proteine können an Oberflächen dünne molekulare Filme bilden, deren eine Seite wasserabweisend ist, während die andere Seite Wasser anzieht. In der Lebensmittelindustrie könnten Hydrophobine zum Beispiel eingesetzt werden, um Schäume wie beispielsweise die Blume eines frisch gezapften Bieres zu stabilisieren, in der Medizin bei der Anzucht von Zellen auf Teflon und in der Pharmazie bei der Herstellung von Suspensionen für die orale Einnahme von wasserunlöslichen Arzneimitteln. Eine weitere Gruppe der jetzt identifizierten Gene ist für die Bildung von verschiedenen Enzymen zur Zersetzung von Pflanzenmaterialien zuständig, wie zum Beispiel von 17 Laccasen zum Abbau von Lignozellulose in verholzten Zellwänden. Speziell die Laccasen können nützlich sein in biotechnologischen Prozessen, die am Büsgen-Institut weiter entwickelt werden, beispielsweise beim Abbau giftiger Phenole, beim Herstellen von Chemikalien aus Holz und beim Verkleben von Fasern in der Holzwerkstoffproduktion.

Originalveröffentlichung: Jason E. Stajich et al.; "Insights into evolution of multicellular fungi from the assembled chromosomes of the mushroom Coprinopsis cinerea (Coprinus cinereus)"; Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 29. Juni 2010

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