„Multi Organ Model“ - Tierversuchsfreie Alternative für die Pharmakokinetik-Forschung
Biotech-Start-up Dynamic42 und Forschungspartner stellen Drei-Organ-System zur Reduzierung von Tierversuchen vor
Der Organ-on-Chip-Spezialist Dynamic42 und ESQlabs, Experte für digitale Life-Sciences-Lösungen, haben in enger Forschungskooperation mit der Bayer-Division Consumer Health und dem Plazenta-Labor des Universitätsklinikums Jena erfolgreich eine Plattform entwickelt, die das Potenzial hat, Tierversuche durch den Einsatz der "Organ-on-Chip"-Technologie (OoC) und interaktiver Berechnungssoftware maßgeblich zu reduzieren. Ziel des einjährigen Pilotprojekts war es, klinisch relevante Daten zu sammeln, die für die Evaluierung neuer Arzneimittelkandidaten in der präklinischen Forschung von entscheidender Bedeutung sind. Die Ergebnisse des Projekts wurden nun in der Fachzeitschrift „Frontiers in Pharmacology“ veröffentlicht.
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Drei-Organ-System mit Darm, Leber und Plazenta auf einem Biochip. In Magenta ist der Verteilungsweg des Medikaments in allen drei Organen und in Blau die apikale Medikamentenapplikation im Darmmodell dargestellt.
Dynamic42 GmbH
Im Rahmen des Projekts wurde untersucht, ob bestimmte Wirkstoffe die Blut-Plazenta-Schranke bei schwangeren Frauen durchdringen können – eine Personengruppe, die aufgrund ethischer und praktischer Einschränkungen selten in klinischen Studien berücksichtigt wird. Ein besonderer Fokus lag auf der Untersuchung von Arzneimitteln während der Schwangerschaft, insbesondere Kortikosteroiden wie Prednison, da es in diesem Bereich bislang nur begrenzte Daten zur Pharmakokinetik und Sicherheit gibt. Herkömmliche präklinische Modelle, einschließlich Tierversuche, liefern keine ausreichenden Erkenntnisse zur Medikamentenbelastung der Mutter und des ungeborenen Kindes.
Drei-Organ-Modell verbessert Vorhersage der Medikamentenwirkung
Um die bestehende Lücke in der präklinischen Medikamentenforschung zu schließen, hat Dynamic42 das Potenzial seiner bestehenden Plattform weiterentwickelt, die auf der sogenannten „Organ-on-Chip“-Technologie basiert. Diese Plattform repräsentiert die drei wesentlichen menschlichen Gewebe, die an der Arzneimittelverwertung beteiligt sind – Leber, Darm und Plazenta. Ein integriertes Pumpensystem sorgt dafür, dass die Zellkulturmedien zwischen den Geweben zirkulieren und so eine realistische Simulation der Stoffverteilung ermöglicht wird. Durch die angekoppelte digitale Analyse der in der Plattform generierten Daten wird eine Übertragung auf menschliche Gegebenheiten ermöglicht. Mithilfe des Medikaments Prednison als Modellsubstanz simuliert das System die Aufnahme, Verstoffwechselung sowie den Transfer des Medikaments über die Plazenta.
Simulation mit digitaler Zwillingstechnologie
Ein vielversprechender Ansatz zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln ist der Einsatz digitaler Zwillingstechnologie. Mithilfe von Computermodellen, die biologische Prozesse realitätsnah abbilden, können sowohl akute als auch langfristige Arzneimittelwirkungen simuliert werden. ESQlabs integriert experimentelle Daten aus der Multi-Organ-Plattform in mathematische Modelle, um die Verteilung und den Stoffwechsel von Medikamenten bei schwangeren Frauen präzise vorherzusagen. Dies trägt zur besseren Bewertung der Dosis-Wirkungs-Beziehungen sowie der Risikoeinschätzung bei.
Tierversuchsfreie Alternative für die Pharmakokinetik-Forschung
Auch wenn Tierversuche in der präklinischen Phase der Entwicklung neuer Medikamente oft vorgeschrieben sind, kann es in manchen Fällen schwierig sein, die Ergebnisse von Tieren auf Menschen zu übertragen. Die entwickelte Plattform stellt eine vielversprechende Alternative zu Tierversuchen dar und leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Arzneimittelverhaltens während der Schwangerschaft. Zudem kann sie die frühzeitige Bewertung der Arzneimittelsicherheit bei besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen unterstützen. Diese Ergebnisse unterstreichen das Potenzial des Systems, komplexe pharmakologische Prozesse in vitro zu simulieren und damit genauere Vorhersagen zur Arzneimittelsicherheit und -wirksamkeit zu ermöglichen.
„Wir haben eine neue, spannende Möglichkeit geschaffen, MPS in einem Multi-Organ-Setting mit In-silico-Vorhersagen zu kombinieren. Mit dieser Plattform können wir die Sicherheits- und Wirksamkeitsbewertung von Medikamenten auf eine ganz neue Ebene heben und dabei wertvolle Daten für die Entwicklung sicherer und effektiver Therapien liefern“, so Martin Raasch, Geschäftsführer von Dynamic42. „ESQlabs ist darauf spezialisiert, die Lücke zwischen Laborergebnissen und Computermodellierung durch unsere digitalen Zwillingstechnologien für die translationale Forschung zu schließen. Durch die Integration von In-silico-Simulationen mit Multi-Organ-MPS-Plattformen heben wir präklinische Tests auf ein neues Niveau von Präzision und Zuverlässigkeit. Dieses gemeinsame Pilotprojekt mit Dynamic42, Bayer und dem Placenta Lab zeigt, wie wir Tierversuche reduzieren und unser Verständnis für das Verhalten von Medikamenten in komplexen, für den Menschen relevanten Systemen vertiefen können“, sagt Dr. Christian Maass, Geschäftsbereichsleiter von MPSlabs.
"Das Placenta Lab ist in einem breiten Spektrum von Forschungsthemen rund um die menschliche Fortpflanzung und Schwangerschaft aktiv. Diese Zusammenarbeit ist ein großer Meilenstein für die Entwicklung neuer Mechanismen zur Untersuchung der Plazentaschranke und ihres bidirektionalen selektiven Transports beim Menschen", sagt Priv.-Doz. Dr. Diana Morales Prieto, stellvertretende Leiterin und wissenschaftliche Gruppenleiterin des Placenta Lab.
„Es ist seit Jahren ein wichtiges Anliegen von Bayer, Tierversuche gemäß den 3R-Prinzipien zu minimieren (Reduce (Reduzieren), Refine (Verfeinern) und Replace (Ersetzen)). Im gemeinsamen Projekt mit Wissenschaftlern von ESQlabs, Dynamic42 und dem Placenta Lab konnten wir neue Ansätze entwickeln, um Tierversuche weiter zu minimieren. Gleichzeitig haben wir genauere und zuverlässigere Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit von Medikamenten gewonnen“, sagt Assoc. Prof. Ramy Ammar, Science Innovation Director, Front End Innovation, in der Division Consumer Health von Bayer. „Wir freuen uns, dass wir so einen wichtigen Schritt in der Entwicklung alternativer Testmethoden gemacht haben.“
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